Was für ein Buch! Schwere Kost, die mich nachhaltig beeindruckt hat.
Zu Beginn habe ich das Buch, das den Untertitel Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941 – 1943 trägt, gar nicht so gerne gelesen; es ist eine andauernde Selbstbespiegelung der Autorin, wirre Reflexionen über ihre Beziehung zu ihrem Mentor und Geliebten, es sind die Ergüsse einer 27-jährigen, die auf der Suche nach sich selbst ist. Aber schnell wird klar, dass die Autorin eine außergewöhnliche Frau ist, die in geradezu unglaublicher Weise ihr Schicksal annimmt und zunehmend große Kraft aus ihrem Glauben an Gott zieht.
Etty Hillesum ist Jüdin, sie lebt 1942 in Amsterdam, als sie mit ihren Aufzeichnungen beginnt. Unerbittlich zieht sich die Schlinge für sie und ihre jüdischen Mitbürger zu. Immer mehr werden sie in ihrer Freiheit beschnitten, gezwungen, auch die weitesten Strecken zu Fuß zu gehen, weil sie die Straßenbahn nicht mehr benutzen dürfen – nur ein kleines Beispiel für immer weiter fortschreitende Drangsalierungsmaßnahmen. Etty weiß, dass sie demnächst den Aufruf erhalten wird, sich in das Durchgangslager Westerbork zu begeben, und sie weiß auch, was mit den abtransportierten Menschen geschieht. So schreibt sie:
Jeder möchte sich selbst retten, obwohl er wissen sollte, dass, wenn er nicht geht, ein anderer an seiner Stelle gehen muss. (…) Es ist nun zu einem „Massenschicksal“ geworden, darüber muss man sich im klaren sein. Man ist auf unsere völlige Vernichtung aus, damit muss man sich in seinem Leben abfinden und dann geht es wieder weiter (…). Ich arbeite und lebe mit der gleichen Überzeugtheit weiter und finde das Leben sinnreich, trotzdem sinnreich. Etty weiß, dass sie sehr wahrscheinlich nicht überleben wird, aber doch äußert sie immer wieder den Wunsch, zu schreiben und Zeugnis abzulegen, auch später, wenn alles vorbei ist. Je schwieriger die Lage wird, desto klarer wird Etty in ihren Gedanken. Zitate geben das am besten wieder:
Das Leiden tastet die Würde des Menschen nicht an. Ich meine damit: Man kann menschenwürdig und menschenunwürdig leiden. Es macht viel aus, wie man es erträgt und ob man es in sein Leben einzuordnen vermag und das Leben dennoch bejaht.
Dadurch, dass man seine eigenen Kräfte und Unzulänglichkeiten kennenlernt und sie als gegeben hinnimmt, verstärkt man seine Kraft. Es ist alles so einfach, für mich wird es immer verständlicher, und ich möchte lange leben, um es auch anderen verständlich zu machen.
Wenn ich bete, bete ich nie für mich selbst.
Alles was man an Liebe, Gottvertrauen und Kräften besitzt, die in letzter Zeit so erstaunlich in mir herangewachsen sind, muss man für jeden bereithalten, der uns zufällig über den Weg läuft und der uns braucht.
Ein kleines Stück Himmel wird wohl immer zu sehen sein, und so viel Platz wird immer um mich sein, dass meine Hände sich zum Gebet falten können.
Staunend, oft fassungslos, und immer voller Bewunderung liest man diese Äußerungen. Unglaublich die Kraft, die aus ihnen spricht. Ein ergreifendes und berührendes Zeitzeugnis. Eine Anregung, das eigene Leben und Denken zu reflektieren. Vielen Dank an Klaudia für den Tipp – ich habe das Buch auch schon weiterverschenkt.