Der heutige Tag, Helga Schubert

Vorab: Diese Frau ist wirklich bewundernswert, und als Autorin ist sie eine Entdeckung.

Dieses Buch mag oder kann man sicherlich nicht zu jeder Zeit lesen. Und vielleicht auch nicht in jedem Lebensalter? Man muss bereit sein, sich mit dem Tod, vielmehr mit dem Sterben, auseinanderzusetzen. Mit Krankheit und Siechtum. Es geht um Pflege mit all ihren brutalen Begleiterscheinungen. Aber auch um das Glück jahrzehntelanger Verbundenheit und der Freude an den kleinen Dingen. Die Autorin, jenseits der 80, pflegt ihren 96-jährigen Mann, der krank und dement ist. Dabei muss sie akzeptieren, dass ihre Welt immer enger wird, denn sie kann ihren Mann nicht alleine lassen und oft findet sie niemanden, der sie ablösen könnte. Die Kinder ihres Mannes, ihre Stiefkinder, lehnen es ab, sie bei der Pflege des Vaters auch nur mal kurzzeitig zu entlasten! 

Aber als eine Ärztin ihr sagt, sie müsse dem Körper ihres Mannes die Möglichkeit geben zu sterben, empfindet sie das als Anmaßung gegenüber der Schöpfung. „Ein bisschen Sahnejoghurt im Schatten, eine Amsel singt, Stille. So darf ein Leben doch ausatmen.“ Es ist bewundernswert, wie die Autorin ganz selbstverständlich für ihren Mann da ist, Tag und Nacht. Natürlich trauert sie um ihn und seine Einschränkungen, sie trauert auch um all das, was gemeinsam nicht mehr möglich ist. Und sie verschweigt nicht, dass sie um sich selbst trauert: „Aber diese Traurigkeit ist einsam und kalt. Sie ist voll Vorwurf und Enttäuschung und Bitterkeit.“ 

Schubert spricht offen über die schrecklichen Seiten der Pflege und des Dementseins, berichtet über herausgerissene Blasenkatheter, Stürze mit dem Rollstuhl, ihre oft viel zu kurzen, ständig unterbrochenen Nächte. Aber immer scheint ihre Liebe zu ihrem Mann durch. Sie nennt ihn im Buch Derden – das steht für Der, den ich liebe. (Was für eine kreative Idee!) Kurz vorher hatte ich gerade Schuberts Geschichten „Vom Aufstehen“ gelesen, mit dem sie, nachdem sie sich jahrelang aus der literarischen Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, 2020, mit 80 Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat. 

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