Grenzgänger, Mechtild Borrmann

Eine Autorin zu finden, die einem gefällt, und dann zu entdecken, dass sie noch mehr Bücher geschrieben hat, ist ein Glücksfall, nicht nur für eine Bloggerin 😉 Vielleser kennen das Gefühl  –  ein tolles Buch ist zu Ende, und man fragt sich besorgt, was lese ich als nächstes, werde ich einen ähnlich guten Roman finden? Eine feine Sache, wenn dann für Nachschub gesorgt ist!

Borrmann schreibt Kriminalgeschichten, die fesseln, berühren, anregen und zur Zeitgeschichte informieren. Das sind keine Krimis im klassischen Sinne. Taten und Täter sind oft schnell bekannt, Morde werden eher beiläufig erzählt. Ausgeleuchtet werden die Lebensumstände der handelnden Personen. Was sind ihre Motive? Warum handeln sie so und nicht anders? Ich mag Borrmanns Sprache ausgesprochen gern, sie schreibt knapp und doch ungeheuer bildlich, sie treibt die Spannung langsam aber stetig voran, wie ein Sog zieht sie einen immer tiefer in die Geschichte hinein und packt einen.

In Grenzgänger ist das vorherrschende Thema Schuld. Und es geht um Gerechtigkeit. Erzählt wird die Lebensgeschichte von Henni, die im Nachkriegsdeutschland aufwächst und – nach dem „Ausfall“ ihrer Eltern –  verzweifelt versucht, ihre Geschwister durch die schweren Zeiten zu bringen. Dazu greift sie notgedrungen zu nicht ganz legalen Mitteln. Und gerät immer tiefer in einen Sumpf von Verstrickungen …

Das Buch spielt auf mehreren Zeitebenen und wechselt zwischen mehreren handelnden Personen, Hennis Leben ist der rote Faden. Wieder sind es heiße Themen, die Borrmann aufgreift: Zollschmuggel, die Zustände in einigen Kinderheimen der 50iger Jahre, die oft unrühmliche Rolle der katholischen Kirche in jener Zeit. Die Protagonisten sind fiktiv, aber vieles beruht auf wahren Begebenheiten, auf Berichten von Zeitzeugen. Das macht es für den Leser erschütternd.

Borrmanns Roman Trümmerkind kann ich ebenso wärmstens empfehlen, auch er ist zeitgeschichtlich interessant. Diese Verbindung, Zeitgeschichte, verknüpft mit Spannung und persönlichen Schicksalen, das Ganze mit einem ganz eigenen Sprachstil, macht diese Autorin für mich zu einer freudigen Entdeckung. Als nächstes werde ich Die andere Hälfte der Hoffnung lesen.

„Du bist nicht so wie andre Mütter“, von Angelika Schrobsdorff

Was für ein Leben! Else Schrobsdorff, im ausgehenden 19. Jahrhundert als Tochter jüdischer Eltern geboren, lässt es in den Goldenen Zwanzigern so richtig krachen: Theater, Konzerte, Partys, wilde Wochenenden, Liebesgeschichten und Leidenschaften. Jahre ohne finanzielle Sorgen, immer einen (Ehe-)Mann an der Seite und drei Kinder, die Else zwar innig liebt, aber für die sie wenig Geduld aufbringt und die häufig von Hausangestellten oder Großeltern betreut werden. Dann in den dreißiger Jahren das langsame Zuziehen der Schlinge, das von ihr, als Jüdin, die mit einem deutschen Mann verheiratet ist, zu Beginn nicht recht ernst genommen wird.

Das Buch beschreibt zwei Lebensabschnitte, die unterschiedlicher nicht sein könnten: im ersten Teil das fast dekadente Leben, im zweiten Teil die Schrecken und Entbehrungen der Kriegsjahre als verfolgte Jüdin mit halbjüdischen Kindern. In einem dritten Teil finden sich Elses Briefe an Freunde, in denen man noch mal sehr viel über den Menschen Else Schrobsdorff und die Nachkriegszeit erfährt. Dieser Teil hat mich besonders berührt, weil er so deutlich macht, dass mit dem herbeigesehnten Kriegsende noch längst nicht alle Schrecken ausgestanden waren und sehr bittere Jahre folgten.

Die Autorin setzt das Bild ihrer Mutter aus vielen einzelnen Puzzlesteinen zusammen: Fotoalben, Briefe, eigene Erinnerungen und die von Freunden. Das Zitat „Du bist nicht so wie andre Mütter“ stammt aus einem Gedicht ihres Bruders, das er für die Mutter verfasst hat. Eine gut geschriebene Biografie über ein interessantes und ungewöhnliches Frauenleben – bewegend, berührend, eindrucksvoll – empfehlenswerte Lektüre!

„Unsere wunderbaren Jahre“, von Peter Prange

1948, Währungsreform in Deutschland. Sechs Freunde aus Altena im Sauerland erhalten ihre vierzig DM „Kopfgeld“. Sie sind jung und voller Aufbruchstimmung. Welche Träume werden sie verwirklichen und welche Hoffnungen werden sich erfüllen? Prange begleitet die sechs Haupt-Akteure von 1948 bis 2016 durch die wechselvolle Geschichte Deutschlands. Er verknüpft die persönlichen Schicksale mit dem Zeitgeschehen: Wiederaufbau, Umgang mit den Verbrechen der Nazi-Zeit, Eintreffen der ersten Gastarbeiter, Bau und Fall der Mauer, Einführung des Euro, …

Der eindeutig interessanteste Lebensweg ist der von Tommy, der sich als intelligenter, smarter Typ vom System der DDR blenden lässt und erst Jahre später das Unrechtsregime als solches erkennt.

Stilistisch, na ja. Die Sprache ist teilweise schlicht und in Ansätzen kitschig. Manche Nebenfiguren sind arg stereotyp angelegt, die meisten Hauptfiguren bleiben eher blass. Ab und an gibt es seeeerhr lange Sätze, bei denen ich mich nach einem Punkt sehnte. Aber: Prange schreibt auch sehr süffig, man kann sich richtig in die Story reinfallen lassen. In kurzen bis sehr kurzen Kapiteln (sehr häufig mit Cliffhanger) springt Prange von Person zu Person; im Fokus stehen die drei Schwestern Ruth, Ulla und Gundel und die Freunde Tommy, Bernd und Benno. Sie alle werden ihr Leben lang auf die eine oder andere Art und Weise miteinander verbunden bleiben. Vieles erinnerte mich an das eigene Erwachsenwerden und den (manchmal mühsamen, meist schönen) Weg durchs Leben. „Unsere wunderbaren Jahre“ ist ein Schmöker mit ein bisschen Geschichte und viel Zeitkolorit, also nette Unterhaltungsliteratur!