„Wer die Nachtigall stört“, von Harper Lee

Die Verfilmung des Romans habe ich als ausgesprochen beeindruckend in Erinnerung, und die von mir sehr verehrte Elizabeth George nennt es ihr Lieblingsbuch, perfekt in „Perspektive und Erzählerstimme“. Grund genug, diesen in vierzig Sprachen übersetzten Klassiker endlich einmal zu lesen!
Das Thema ist Rassenhass im Alabama der 1930er Jahre – aber es geht um viel mehr als das – um Vorurteile im weitesten Sinne, um Mitläufer, kritisches Denken, Toleranz und menschliche Größe. Was das Buch so besonders macht: Es ist aus Sicht von Scout geschrieben. Sie ist die kleine Tochter des Anwalts Atticus Finch, der einen wegen Vergewaltigung angeklagten Schwarzen verteidigt. Unbefangen und unvoreingenommen kommentiert Scout die Ereignisse, und stellt Fragen, wie es eben nur ein Kind tun kann.

Zu Beginn des Romans ist Scout sechs Jahre alt, ihr Bruder Jem ist zehn. Wir erleben die überwiegend unbeschwerte Kindheit der beiden im kleinen Dörfchen Maycomb, in dem jeder jeden kennt (am Telefon muss man nicht seinen Namen nennen, um vom Gesprächspartner identifiziert zu werden), und in dem es menschliche Charaktere aller Schattierungen gibt: Den bösen Mr. Ewell, den guten, seine Kinder Verständnis und Toleranz lehrenden Anwalt Finch, viele schillernde Nebenfiguren und nicht zuletzt den sagenumwobenen Boo Radley, den nie jemand zu Gesicht bekommt, und vor dem die Kinder eine Heidenangst haben. Und der sehr spät im Buch doch noch seinen Auftritt bekommt. Mehr will ich von der Geschichte nicht verraten.

In manche Bücher kann man jederzeit wieder einsteigen, wenn man sie für ein paar Tage weggelegt hat. Das gelang mir bei dieser Geschichte nicht. Nur wenn ich eine Weile am Stück gelesen habe, bin ich wieder in diese besondere, sich langsam aufheizende Welt eingetaucht. Also besser dran bleiben! Es ist ein Gesamtkunstwerk, das man nur so richtig würdigen kann. Und aktuell wie eh und je. In Deutschland ist gerade ein Kommunalpolitiker zurückgetreten, weil er seine Familie vor rechtsextremer Hetze schützen wollte. Und das Thema Rassismus gibt es nach wie vor in USA, wenn auch subtiler als zur Zeit des Romans.

„Die Wand“ – Verfilmung des Buchs von Marlen Haushofer

Aus gutem Grund galt das dem Film zugrundeliegende Buch lange als unverfilmbar. Nun hat sich doch Julian Pölsler des Stoffes angenommen und einen eindrucksvollen Film mit der großartigen Martina Gedeck daraus gemacht.

Wer das Buch nicht kennt, kurzer Abriss des Inhalts in meinem Buchtipp.

Wie soll ein Film eine Geschichte erzählen, in der es keine Kommunikationspartner und somit keine Dialoge gibt? Der Regisseur löst das, in dem er Martina Gedeck lange Zitate aus dem Buch vortragen lässt. Das erklärt zwar die Handlung, macht aber für mich einen großen Teil des Zaubers, der vom Buch ausgeht, kaputt. Vieles von dem, was sie erzählend mitteilt, hätte auch mimisch und gestisch dargestellt werden können oder in der Zwiesprache mit den ihr zugelaufenen Tieren. Diese Chance wurde vertan. Es bleiben wunderschöne Bilder, eindrückliche Szenen vom Überleben in der Einsamkeit der Berge und vom Wechsel zwischen Verzweiflung, Trauer und tiefen Glücksmomenten. Das ist natürlich immer noch viel, und es ist auch auf jeden Fall ein sehr guter Film. Nur eben nicht so herausragend wie das Buch. Ob ich es langfristig bereue, ihn gesehen zu haben, kann ich erst sagen, wenn ich wieder einmal das Buch zur Hand nehme und merke, ob die Filmbilder meine eigenen Bilder verdrängen – das aber ist nun mal ein generelles Probleme bei Literaturverfilmungen. Mein Mann, der das Buch nicht kennt, fand den Film sehr gut, sehr beeindruckend.