„Menschenkind“, von Toni Morrison

Was für ein Buch! Genauso sehr wie der Inhalt beschäftigen mich viele Fragen: Hätte ich dieses Buch auch gelesen, wenn Toni Morrison nicht den Pulitzer-Preis dafür bekommen hätte, wenn es nicht von einer Nobelpreisträgerin geschrieben worden wäre? Warum habe ich mich so schwer damit getan – zumindest phasenweise? Will ich mich nicht mehr anstrengen? Bin ich zu ungeduldig? Liegt es am Mystischen?

Die Geschichte erzählt von der ehemaligen Sklavin Sethe, die sich, hochschwanger, aus der Gefangenschaft befreien kann, und mit ihren drei bzw. vier Kindern bei ihrer Schwiegermutter unterkommt. Als die Geschichte einsetzt, lebt sie nur noch mit einem Kind zusammen. Ihre beiden halbwüchsigen Söhne sind auf und davon, ihre kleine Tochter lebt nicht mehr. Ihren Tod kann Sethe nicht verwinden. Der Geist des kleinen Mädchens spukt in ihrem Haus.

Morrison entrollt langsam, in vielen Rückblenden, Sethes langen Leidensweg. Dabei beschreibt sie nicht nur die von den Sklaven tagtäglich erlittenen Grausamkeiten, sondern führt eindringlich vor Augen, wie sich der Verlust der Freiheit für diese Menschen anfühlt. Sie schreibt so, dass einem permanent Bilder vor Augen kommen (ich musste häufig an den Film „Die Farbe Lila“ denken), man hört die Geräusche und Gesänge, hat die Gerüche in der Nase. Morrison schreibt poetisch, zart und gleichsam schwingend auf der einen Seite, aber auch zupackend und mit unerbittlicher Härte und Genauigkeit auf der anderen. Gleichzeitig lässt sie vieles in der Schwebe und nicht alles Verwirrende löst sich auf. Im Netz gibt es den Tipp, das Buch zweimal zu lesen, um es besser zu verstehen – aber auch die Anmerkung, wer will so ein schwieriges Buch denn gleich zweimal hintereinander lesen …

Aber dennoch: Das Buch ist auf jeden Fall sehr sehr lesenswert, man sollte sich Zeit dafür nehmen! Und es ist ein Buch, das sich gut für einen Lesezirkel eignet, denn im Gespräch mit anderen durchdringt man die Geschichte bestimmt besser, und erfahrungsgemäß beschäftigen jeden Leser andere Aspekte.

„Lincoln“ – Film von Steven Spielberg

Hollywood-Produktionen schauen wir uns eher selten an, uns reizen mehr die kleineren Produktionen, die nicht so im Mainstream sind. Aber den Film Lincoln wollte ich unbedingt sehen, nicht zuletzt auch, um mehr über den 16. Präsidenten der USA zu erfahren, unter dem die Sklaverei abgeschafft wurde und den Barack Obama als sein Vorbild nennt.

Leichte Kost ist das nicht. Die teilweise ermüdend langen Redepassagen und die darin verhandelten Inhalte erfordern viel Geduld und volle Konzentration. Zum Glück hatte ich vorher eine Besprechung des Films gelesen, so habe ich wenigstens ansatzweise verstanden, um was es geht. Lincoln will beides, den Frieden zwischen den im Krieg liegenden Süd- und Nordstaaten UND die Abschaffung der Sklaverei. Warum er deshalb den Frieden erst einmal aufhalten muss, fand ich im Film schwierig nach zu vollziehen. Aber nur so war es möglich, den 13. Verfassungszusatz, die Abschaffung der Sklaverei, durch den Kongress zu bringen. Lincoln hat ein kleines Zeitfenster, wie wir heute so schön sagen, und er nutzt es. Der Erfolg gibt ihm recht. Er zahlt einen hohen Preis dafür. Ohne Betrug, List und Tücke wäre das nicht möglich gewesen, die fehlenden Stimmen werden mit allen Tricks und Finessen errungen. In dem Fall heiligt der Zweck unbestritten die Mittel, es geht um Großes. Aber man kann sich lebhaft vorstellen, wie auch für weniger Sinnvolles und Bedeutendes heutzutage gekungelt, geschoben, betrogen und bestochen wird – überall auf der Welt. Es ist das alte Spiel um Macht und Moral.

So taucht man einesteils ganz tief in die Lincoln-Ära ein (auch dank eines großartigen Daniel Day-Lewis), andererseits ist man viel in den heutigen Vereinigten Staaten, denkt an die Gesundheitsreform, die Obama unter so großen Schwierigkeiten durchgebracht hat, und die ständige gegenseitige Blockade von Republikanern und Demokraten. Dieser Bogen ist es, der mich fasziniert hat. Insofern lautet mein Urteil: unbedingt empfehlenswert!