„Die Reisen des Mr. Leary“, von Anne Tyler

Die wunderbare Anne Tyler hat wieder ein Buch geschrieben: „Der leuchtend blaue Faden.“ Ich habe die Besprechung in der FAZ gelesen und es auf meine „Lese-Liste“ gesetzt. Aber zunächst habe ich mir endlich einmal „Die Reisen des Mr. Leary“ von Tyler vorgenommen, neben „Atemübungen“ (dafür hat sie den Pulitzerpreis bekommen) ihr berühmtestes Buch, das auch erfolgreich verfilmt wurde. Und ich habe, wie immer, jede Zeile genossen.

Es ist eine seltsame Geschichte mit Anne Tyler und mir. Schon vor vielen Jahren hatte mir ein Kollege „Die Reisen des Mr. Leary“ empfohlen, ich bin aber nicht drauf angesprungen. Die „Atemübungen“ hatte ich damals angelesen – war aber nicht reingekommen, ich war wohl noch nicht reif dafür … Jahre später, auf der Suche nach einem Autor, der mehr als ein schönes Buch geschrieben hat, hat mir eine Kollegin Anne Tyler empfohlen, und dieses Mal ist der Funke übergesprungen – inzwischen kenne ich die meisten ihrer Titel. Und ich liebe sie alle.
„Die Reisen des Mr. Leary“ ist in all seinen Ausprägungen ein gutes Beispiel für den unverwechselbaren Tyler-Stil. Witzig, traurig, herzerwärmend, einfach grandios. Tyler ist unglaublich genau im Beschreiben von Szenen und Personen, sie ist total nah dran an ihren Figuren und man spürt, wie sehr sie sie mag. Überaus kunstvoll entblättert sie beiläufig auf den ersten Seiten das Schicksal von Learys Sohn. Ihre Protagonisten sind meist etwas schräg; im vorliegenden Buch mag man erst gar nicht glauben, dass Muriel („eine magere junge Frau in einer rüschenbesetzten Folklorebluse. Sie hatte schauderhaft krauses, schwarzes Haar …“) die Frau sein wird, die in Mr. Learys Leben (und in dem seines Hundes Edward) eine große Rolle spielen wird. Alleine die Szenen mit Edward, dem ganz und gar Lernunwilligen Welsh Corgie mit „kurzen, drallen Beinen, wie die Keulen einer bratfertig dressierten Long-Island-Jungente“ sind zum totlachen. „Oben auf der Kellertreppe klagte Edward sein Leid. Er hatte zwar Hunger, aber nicht den Mut, allein hinunterzulaufen. Als er Macon erblickte, legte er sich flach, ließ die Schnauze über die oberste Stufe hervorlugen und setzte eine hoffnungsvolle Miene auf.“
Um was geht es? Nichts Weltbewegendes – Hund und Herrchen sind nach der Trennung von Sarah, Learys Ehefrau, etwas neben der Spur. Muriel, die auf den ersten Blick eher skurrile Hundetrainerin, soll es richten, bei Edward! Sie nimmt sich nicht nur des Corgies an …
Liebe Leute, dies ist zwar die Besprechung eines Buches, aber hauptsächlich soll es ein Lobgesang auf eine Autorin sein. Lesen!

Früher in Rente – die FAZ fragt nach dem Warum, hier kommt eine Antwort

Funk, Fernsehen und Presse berichten in diesen Tagen, dass der Anteil der Frührentner in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist – lag er 2005 bei 41,2 %, so betrug er 2011 schon 48,2 % (Quelle FAZ, 1.2.2013). Die FAZ fragt nach dem Warum. Im Wirtschaftsteil schreibt die Zeitung, dass es „keine wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Motiven für einen vorzeitigen Ruhestand“ gibt, im Leitartikel zum selben Thema wird behauptet „die Frage (…) ist den Rentnern erstaunlicherweise noch nie gestellt worden.“ Wirklich?

Auch ich habe viel früher als ursprünglich beabsichtigt den Job verlassen, und so drängt es mich, das zu  kommentieren.

Als erstes fällt mir dazu ein, dass just in dieser Woche durch die Medien ging, dass immer mehr Deutsche Stress am Arbeitsplatz haben, jeder zweite klagt darüber! Das ist doch schon mal eine handfeste Erklärung: Immer weniger Menschen sind bereit, diesen ständigen Druck im Job auszuhalten, und immer mehr Menschen merken, dass es noch andere Dinge im Leben gibt als (fremdbestimmt) Arbeiten  – so erfüllend ein Berufsleben auch sein kann.

Ich bin seit drei Jahren im Ruhestand, und jeden Tag aufs neue freue ich mich, dass ich dem aufreibenden Job mit sechzig Jahren Ade gesagt habe. Ich wollte nicht völlig abgenudelt in diese letzte Zeitspanne eintreten, damit mir noch genügend Kraft und Energie bleibt, sie sinnvoll zu nutzen. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Möglichkeit dazu habe – wohl dem, der es sich leisten kann. Was mir seinerzeit bei der Entscheidung geholfen hat:

Auf einem Seminar wurden wir aufgefordert, die uns statistisch verbleibende Lebenszeit in Tagen auszurechnen (Ausgangswert ist die durchschnittliche Lebenserwartung minus aktuelles Lebensalter, die Differenz ist der persönliche Wert), so simpel und so erhellend! Seinerzeit waren es bei mir knapp 8000 Tage. Als ich mir überlegt habe, WIE schnell die Tage, Monate, Jahre verfliegen, habe ich mich erschrocken, und mir wurde erstmals richtig klar, dass meine Zeit endlich ist.

Im FAZ-Artikel gibt es einen erhellenden Satz: „(…) Vielmehr nähmen viele Menschen nach individueller Abwägung von Kosten und Nutzen die Abschläge bewusst in Kauf.“ Wohl wahr! Die Kosten: Geld ist nicht alles, der Nutzen: eindeutig – Druck gegen Freiheit und Selbstbestimmung. Zeit! Gibt es etwas Kostbareres? Ein ganzes Füllhorn von Möglichkeiten eröffnet sich …

WIE man seine Zeit nutzt, das ist aber ein Thema für sich – Rödeln oder Ruhen, das ist die Frage, dazu ein anderes Mal mehr.