Zur See, Dörte Hansen

Für Inselliebhaber und eingefleischte Meerfans ein Muss, und für alle Fans von Dörte Hansen auch!

War es bisher bei Hansen das Dorf, das langsam dem Wandel der Zeit zum Opfer fällt, so ist es hier das Leben auf der Insel, das sich unaufhaltsam ändert. Verdrängt werden die alteingesessenen Insulaner von den Fremden, die vom Inselleben träumen, Reetdach-Häuser erwerben, schick umkrempeln, und nach der ersten Begeisterung nur noch ab und an kommen. Und die sich nicht um alte Traditionen scheren. Und natürlich von den Touristen, die in Scharen mit den Fähren einfallen, so dass die Inselbewohner sich an die Tagesränder zurückziehen.

Im Mittelpunkt steht die Familie Sander, der das schönste Haus der Insel gehört, das Kapitänshaus – eine Touristenattraktion. Einen Kapitän gibt es aber nicht mehr in dem Haus, stattdessen zwei Erwachsene und drei Kinder, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, jeder geht seiner eigenen Wege. Auch der Inselpastor als weitere zentrale Figur trägt sein (Ehe-) Päckchen. Und mittendrin gibt es einen gestrandeten Wal, der vieles in Bewegung bringt, auch in der Familie Sander. 

Schon nach wenigen Sätzen ist man auf dem Weg zu einer Nordseeinsel „irgendwo in Jütland, Friesland oder Zeeland“. Man spürt den heulenden Sturm, die salzige Seeluft, das Kopfsteinpflaster unter den Füßen, hört das Klappern der Pferdehufe. Gesprochen wird nicht viel in diesem Roman, Figuren werden nacheinander, erst namenlos, ins Geschehen geschoben. Und doch hat man sehr schnell ein genaues Bild von den Bewohnern und ist gefangen von dieser ganz besonderen Insel-Atmosphäre. Das ist die große Kunst der Dörte Hansen, uns mit wunderschönen, wohl gesetzten Worten, zu verzaubern. Das ist dieses Mal fragmentarischer als ihre anderen Romane, anfangs vermisste ich etwas die durchgehende Geschichte, aber es passt unglaublich gut zu dem, was sie erzählt. Beeindruckend und berührend.

Anmerkung zum Schauplatz: Angeblich hat Hansen die Insel gemischt, ein wenig Sylt, ein wenig Norderney, ein wenig Langeoog und ein wenig Amrum. Auf jeden Fall gibt es Autos auf der Insel. Und dennoch war ich im Geist durchgängig auf der autofreien Insel Spiekeroog. Ich kenne fast alle ost- und nordfriesischen Inseln, auf Spiekeroog spürt man noch am ehesten den Geist der alten Zeit, deshalb habe ich es wohl dort verortet.

Der Papierpalast, Miranda Cowley Heller 

Ein echter Pageturner ist dieses Buch. Wer also gerne fesselnde Geschichten liest, ist hier richtig. Das Cover ist wunderschön, das Buch steht auf den Bestsellerlisten. Ein Aber gibt es trotzdem von meiner Seite. 

Eine Frau steht zwischen zwei Männern – „Jonas ist animalisch, Peter ist mineralisch“ – so beschreibt die Ich-Erzählerin Elle die beiden Männer, zwischen denen sie sich entscheiden muss. Der Roman pendelt zwischen ihrem heutigem Leben als Fünfzigjährige, und ihren Jahren als Kind und junge Frau. Langsam entfaltet Elle ihr Leben, dabei werden im Verlauf der Jahre unglaubliche Dramen und Geheimnisse enthüllt. Gleichzeitig bewegt sich die Geschichte unaufhaltsam auf den Tag der Entscheidung im Jetzt zu.

Die Rückblicke offenbaren schwierige familiäre Verhältnisse. Die Ereignisse werden mit einer gewissen kühlen Distanz geschildert; fast wirkt es so, als könnten sie um der Spannung willen nicht krass genug sein. Ist das typisch amerikanisch? Oder Cowley Hellers Job als Drama-Serien-Entwicklerin geschuldet? Nicht die Dramen an sich haben mich so irritiert, sondern diese Nüchternheit im Erzählen fand ich befremdlich. 

Aber die Geschichte ist wirklich spannend, sehr süffig geschrieben, und auch trockener Humor kommt nicht zu kurz. Den Zeitsprüngen zu folgen, und die vielen verschiedenen Namen zuzuordnen ist nicht immer ganz einfach. Die Sprache ist manchmal sehr vulgär, auch das empfand ich als unnötig reißerisch. 

Fazit: gute und sehr spannende Unterhaltung. Ich hätte mir etwas mehr Tiefgang und emotionale Wärme gewünscht. 

Der große Sommer, Ewald Arenz

Das ist eins von diesen Büchern, die ich traurig zuklappe – traurig, weil es zu Ende ist und ich mich frage, wann ich wieder so ein Buch finden werde, das mich so berührt, das so vieles in mir zum Klingen bringt. 

Der Protagonist Frieder geht als gealterter Mann über den Friedhof und sucht nach einem Grab. Und währenddessen erinnert er sich an diesen ganz besonderen Sommer, den großen Sommer: Als 17-jähriger muss er in den großen Ferien für die Nachprüfungen in Mathe und Latein büffeln. Anstatt mit seiner Familie in den Urlaub zu fahren, wird er zum strengen Großvater geschickt. Es wird ein ganz besonderer Sommer für ihn, denn er erlebt nicht nur seine erste Liebe, sondern er begegnet auch erstmals dem Tod. Er erfährt neue Dimensionen von Freundschaft, erkennt die Bedeutung von Respekt und Vertrauen. Und an seinem Großvater, einer überaus schillernden Person, lernt er ganz neue Seiten kennen, ebenso wie an seiner Großmutter. Das klingt vielleicht nach einem Jugendroman, aber es ist noch so viel mehr darin. Und der Roman ist auch durchaus spannend – so fragt man sich, wessen Grab der inzwischen erwachsene Frieder immer wieder aufsucht. 

In einer wunderschönen, manchmal geradezu poetischen Sprache, erzählt Arenz die Geschichte, lässt uns teilhaben an Frieders vielfältigen Sinneseindrücken. Wir erleben mit ihm die Besonderheit dieses flirrenden Sommers, aber auch den Hauch des langsam nahenden Herbstes. Schon Alte Sorten des Autors hatte mir sehr gut gefallen. Arenz hat ein gutes Gespür für Zwischentöne und für die kleinen und großen Dinge, die ein Leben ausmachen.

Südlich vom Ende der Welt, mein Jahr in der Antarktis, Carmen Possnig

Mit zwölf weiteren Menschen, Wissenschaftlern, Forschern, Technikern und Support-Personal, verbringt die junge Autorin ein Jahr in der Antarktis, in der Forschungsstation Concordia. Unter irren Bedingungen: Die Temperaturen gehen im Winter bis auf -80° Grad herunter, im Sommer gibt es zwischen -30 und -45° Grad. Die Station liegt auf 3.800 m Höhe, das bedeutet Höhenkrankheit und Sauerstoffmangel. Im Mai geht die Sonne ein letztes Mal unter und taucht erst Mitte August wieder auf. Da es im Winter unmöglich ist, dort ein Flugzeug zu landen, ist eine Evakuierung über Monate ausgeschlossen. 

Possnig hat den Auftrag, zu erforschen, wie sich der Mensch an die Extrembedingungen anpasst. Das sind zum einen medizinische Erkenntnisse, zum anderen geht es natürlich darum, wie kommen die Menschen psychisch mit der Isolation und den ganzen anderen Herausforderungen zurecht? Wie verändern sich die motorischen und kognitiven Fähigkeiten in der Zeit des Eingesperrtseins? Es ist ja eine Zeit der sensorischen Deprivation, es fehlen lebensnotwendige Sinneseindrücke. Was macht das mit jedem Einzelnen? Und wie entwickelt sich die Gruppendynamik einer zusammengewürfelten Truppe (11 Männer, 2 Frauen) unter solch extremen Bedingungen? 

Die Antarktis hat einen Hang zu Superlativen: Nicht nur die Temperaturen, sondern auch unsere Emotionen, Reaktionen aufeinander, sind im Extremen beheimatet. Bemerken tun wir das zwar hauptsächlich an unserem Gegenüber, natürlich ist aber jeder von uns davon betroffen. Auch ich. 

Zwar lässt die Autorin immer wieder anklingen, dass es reichlich Konflikte gibt, sie bleibt dabei aber leider meist ziemlich im Vagen. Es ist offensichtlich, dass sie dieses Jahr unglaublich genossen hat, sie bedauert das Ende der Isolation. Aber einigen ihrer Kollegen ist es wohl deutlich anders ergangen, und sie sind heilfroh, die Station wieder verlassen zu können. Ich hatte das Gefühl, nur über die Spitze des Eisbergs gelesen zu haben, was die Schwierigkeiten in diesem Jahr anbelangt. Aber ich bin voller Respekt und Ehrfurcht vor dem Mut und dem Engagement dieser Menschen; ich habe viel über die Antarktis gelernt, immer wieder die großartigen Fotos angeschaut und ein Leseerlebnis der besonderen Art genossen.

Ich hätte nicht zu diesem Buch gegriffen, wenn es mir nicht empfohlen worden wäre. Danke an Wolter für den Tipp!

Der Brand, Daniela Krien

Daniela Krien wird für ihre „psychologisch klugen Romane“ gelobt. In diesem Buch geht es um ein seit dreißig Jahren verheiratetes Ehepaar, das sich in einer Krise befindet, einer Art Stillstand. Die Sexualität ist eingeschlafen, die Beziehung zur Tochter ist äußerst schwierig. Und dann platzt aufgrund eines Brands auch noch der in Kürze bevorstehende, akribisch vorbereitete Wander-Urlaub auf einer Hütte in Oberbayern. 

Das Buch ist aus Sicht der Ehefrau Rahel geschrieben: Wäre das Ganze vor zehn Jahren passiert, hätten sie gemeinsam den Kopf darüber geschüttelt. „Wer weiß, wofür es gut ist …“, hätte Peter vermutlich gesagt und sie getröstet. Doch die Gelassenheit war ihm abhandengekommen. Sein feiner Humor kippt nun öfter ins Zynische, und an die Stelle ihrer lebhaften Gespräche ist eine distinguierte Freundlichkeit getreten. Damit einhergehend – und das ist das Schlimmste – hat er aufgehört, mit ihr zu schlafen.

Die Enttäuschung sitzt tief bei Rahel. Doch dann bittet eine gute Freundin das Paar um Hilfe und so kommt es, dass das Ehepaar anstatt des Hüttenurlaubs spontan drei Wochen lang einen einsamen Bauernhof in der Uckermark nebst altersschwachen Tieren hütet. Wie unter einem Brennglas treten die Konflikte in der abgeschotteten Umgebung zutage. Die Autorin schaut genau hin: Die Spannungen in der Beziehung und im Verhältnis zur Tochter werden mit präziser Beobachtung herausgearbeitet und für den Leser stets nachfühlbar beschrieben. Die Geschichte ist unspektakulär, aber niemals langweilig. Der Stil ist schlicht, knapp und dennoch eindringlich. Man wünscht dem Paar eine Zukunft und dem Verhältnis zur Tochter eine positive Wendung, kann aber nicht sicher sein, dass es dazu kommt.

Dörte Hansen, Mittagsstunde

Die Mittagsstunde ist den Dorfbewohnern in kleinen Brunkebüll im Norden Deutschlands heilig. Da wird geruht, im Bett, auf der Eckbank oder im Sessel. Zumindest so lange die Welt noch in Ordnung ist auf dem Land – vor der großen Flurbereinigung, und bevor die Städter kommen und mit ihnen endgültig moderne Zeiten Einzug halten. Auch für heimliche Besuche ist die Mittagstunde gut.

Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen; es beschreibt in der Vergangenheit die Sechziger und Siebziger Jahre, die Jugendjahre des Protagonisten Ingwer Feddersen auf dem Dorf. In der Gegenwart kehrt Ingwer, de Jung, vorübergehend zurück, um seine alten Eltern, Mudder und Vadder, zu unterstützen. Die besitzen einen Gasthof, der schwer in die Jahre gekommen ist. „Man musste kein Schöngeist sein, um im Brinkebüller Gasthof auf den Hund zu kommen. Es reichte schon, wenn man eine Zeitlang etwas anderes gesehen hatte, (…) irgendeine Art von menschgemachter Schönheit. Er fühlte sich der Hässlichkeit des Brinkebüller Saals nicht mehr gewachsen.“ 

Aber zu Beginn der Erzählung ist die Gastwirtschaft natürlich noch die zentrale Anlaufstelle für die Dorfbewohner und ihre vielfältigen Feste, denen sich keiner entziehen kann: Taufen, grüne, silberne und goldene Hochzeiten, runde Geburtstage und Trauerfeiern. Und die Kneipe ist Bühne für die Brinkebüll Buffalos, eine Line Dance Gruppe, deren Aussehen und Auftritte mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben sind und für großes Lesevergnügen gesorgt haben. Doch nach und nach verändert sich die bäuerliche Welt. Und vor den Augen des Lesers entblättert sich so manches Geheimnis. 

Skurrile Charaktere tummeln sich in der Geschichte, von ein bisschen schräg bis ziemlich verrückt. Mit trockenem Humor, sprachlicher Schärfe und großer Wärme beschreibt Hansen ihr Personal. Selbst der Dorflehrer Steensen mit seinen „großen Schuhen, die wie angebrannte Brote aussahen“und der sagt, ohne Schläge geht es nicht bei den Kindern, wächst einem im Laufe der Geschichte ans Herz! Geradezu wehmütig machen einen manche Beschreibungen des einfachen Lebens, wecken Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, die aber natürlich genauso ihre Fallstricke hat wie die heutige. Hansen würzt das alles mit immer wieder eingestreutem Plattdeutsch, das dem Ganzen Lokalcolorit und Menschlichkeit verleiht (und immer gut zu verstehen ist). Es ist ein großes Lesevergnügen.

Seinerzeit hatte mich das erste Buch von Dörte Hansen „Altes Land“, mit dem sie sich sofort in die Bestsellerlisten geschrieben hat, gar nicht so begeistert. Die Verfilmung fand ich allerdings sehr gelungen. Nachdem mich nun der Sprachstil Hansens so gefangen genommen hat, werde ich auf jeden Fall noch einmal „Altes Land“ lesen. Anscheinend bin ich jetzt erst „reif“ für diese Art des Erzählens 😉

Eva Völler, Die Ruhrpottsaga – drei Bände

Wer gerne Schmöker mit historischem Hintergrund liest, hat eine reichhaltige Auswahl. Der Markt wird geradezu überschwemmt mit Sagas – also mit „Erzählungen historischen Inhalts, der nicht bewiesen ist.“ Zwischendurch lese ich solche Geschichten schon mal gerne, denn man erfährt immer auch etwas Neues und kann in die jeweilige Zeit eintauchen. Oft bin ich aber auch enttäuscht, denn viele der Sagas sind doch sehr trivial. Die Ruhrpott-Saga hebt sich positiv heraus. Die typischen Probleme (nicht nur) des Ruhrgebiets in den Sechziger Jahren (Zechensterben, Arbeitskämpfe, berufstätige Frauen in der Männerwelt) und der Alltag der in Essen lebenden Menschen werden sehr detailreich, authentisch und lebendig beschrieben. 

Drei Frauengenerationen bilden den Rahmen der Geschichte. Im ersten Band geht es um Katharina, die mit ihren Töchtern bei Mine, der Mutter ihres nach dem Krieg verschollenen Ehemanns, untergekommen ist. Katharina versucht, sich in Essen ein neues Leben aufzubauen, was nicht ganz einfach ist, denn die Vergangenheit hängt wie ein Schatten über ihr. Im zweiten Band geht es um die ältere Tochter Inge, die, liiert und mit fester Anstellung als Buchhändlerin, auf ein wohlgeordnetes Leben zusteuert – aber dann kommt es doch ganz anders. Bärbel, die jüngste Tochter, kehrt im dritten Band eher unfreiwillig als Ärztin zurück in ihre alte Heimat und trifft dort auf ihre inzwischen verheiratete Jugendliebe. Nicht nur sie, auch die anderen Familienmitgliedern kämpfen mit Problemen.

Wichtig sind nicht so sehr die einzelnen Geschichten (mit teilweise auch etwas unwahrscheinlichen Wendungen) – was den Reiz für mich ausmacht, sind vor allem Szenerie, Lokalcolorit und die Nebenfiguren, die mit unglaublich viel Herz beschrieben sind. Wenn Oma Mine im schönsten Ruhrpottplatt ihre trockenen Ratschläge zum Besten gibt, musste ich jedes Mal schmunzeln: „Wenne schlau bis, schnappse dich den Jung. Besser getz wie später.“ Und Tante Clärchen, ebenfalls ein Unikum, steht ihr in nichts nach und sagt gerne einmal: „Leck mich doch inne Täsch.“ 

Kleine Anmerkung: Ich habe zehn Jahre in Essen gelebt, und die beschriebenen Orte sowie der unverkennbare, herrliche Ruhrgebietsdialekt sind mir ans Herz gewachsen. Das mag mein Urteil beeinflusst haben. 😉

Eine Frage der Chemie, Bonnie Garmus

Ein herrliches Leseerlebnis! Unterhaltsam und witzig, aber auch lehrreich und tiefgründig ist dieses Buch. Über weite Passagen hatte ich ein Dauergrinsen im Gesicht, manchmal habe ich laut gelacht. Dabei war ich anfangs etwas skeptisch – Chemie ist so gar nicht mein Ding. Aber die wunderbare Hauptfigur und die flotte Schreibe der Autorin nahmen mich schnell gefangen. 

Es geht um Elizabeth Zott, eine Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht als als Chemikerin anerkannt zu werden, aber in einer biederen Kochshow im Fernsehen landet. Es geht um einen Hund, der Halbsieben heißt, um ein Kind, das mit fünf Jahren fast den gesamten Dickens gelesen hat, ums Rudern im Morgengrauen und natürlich ums Kochen – was wiederum viel mit Chemie zu tun hat, denn Chemie bedeutet Veränderung der Zustände.

Eine kleine Truppe liebenswerter Figuren läuft auf, aber auch eine große Schar ignoranter Menschen (Männer!), die den Frauen in den Sechziger Jahren das Leben schwer machen. Die Geschichte erzählt, wie Elisabeth sich durchs Leben kämpft, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Sie handelt von traurigen, aber auch glücklichen Begebenheiten und Begegnungen – und sie handelt von einer ganz besonderen, einer großen Liebe.

Die Story ist zwischendurch einigermaßen verwickelt, aber man verliert als Leser nie den Überblick. Am Ende fügt sich alles auf geradezu wundersame Weise. Dann legt man dieses Genussbuch traurig beiseite und fragt sich, wann man wohl wieder auf so eine erfrischende Lektüre stoßen wird.

Gabriele von Arnim, Das Leben ist ein vorübergehender Zustand

Wie pflegt man einen Mann, dem man ein paar Stunden vor seinem Schlaganfall gesagt hat, dass man ihn verlassen will? Schonungslos berichtet von Arnim über den Abgrund, in den ihr einst so kraftvoller, supersportlicher, rhetorisch versierter Mann (Journalist und ARD-Chefredakteur) von jetzt auf gleich stürzt. Und was das mit ihrem Leben macht. Ihr Kommentar: „Willst du Gott zum Lachen bringen, schick ihm deine Pläne.“ Ihr Mann wird zum Pflegefall, um den sie sich zehn Jahre lang kümmert. Es sind Jahre voller Verzweiflung, Wut und Hilflosigkeit, aber auch mit neuer Innigkeit, Zärtlichkeit und (wiedergefundener) Liebe. 

Ständig gibt es neue, schockierende Diagnosen, werden die Hoffnungen des Kranken und der Pflegenden bitter enttäuscht. Gabriele von Arnim beschreibt den schmalen Grat zwischen Fürsorge und Übergriffigkeit, zwischen Aufopferung und Herabwürdigung. Aber sie erzählt auch von den kleinen Momenten des gemeinsamen Glücks, sagt, was ihr Kraft gibt und gut tut, welche Freunde sich als wirkliche Freunde erweisen und verschweigt auch nicht, wie hilfreich ein gehobener Lebensstandard ist. Ich liebe ihr Kapitel über das Wohnen und über den Trost der Schönheit. 

Das Buch, so schonungslos ehrlich es auch den Verfall eines einstmals so vitalen Mannes beschreibt, ist dennoch kein purer Leidensbericht. Es ist viel Lebensweisheit in dem Buch enthalten, die Lebensweisheit einer klugen und starken Frau. Mein Fazit: Großartig. Bewegend. Traurig. Erschütternd. Eindringlich. Mut machend. Sogar herzerwärmend.

Das Leben ist gut, Alex Capus

Ein Buch, das gute Laune macht. Der Ich-Erzähler, der Mittfünfziger Max, betreibt eine kleine Bar in der Schweiz. Als seine Frau für längere Zeit nach Paris fährt, ist er erstmals nach vielen Jahren Ehe ohne sie. Es veranlasst ihn, sein Leben zu reflektieren. Das verläuft unspektakulär, aber Max ist völlig zufrieden mit seinem Alltag. Und er ist glücklich, dass sein Leben als Barbesitzer ihm so viele schöne Begegnungen ermöglicht. Liebevoll und warmherzig beschreibt der Autor die teilweise skurrilen Typen, die im Laufe der Jahre zu guten Freunden für ihn geworden sind und – neben der Familie – die Eckpfeiler seines Lebens bilden. Aber er spart auch nicht an gesellschaftlicher Kritik, zum Beispiel an der Entwicklung im Immobiliengeschäft. Nicht alle Kapitel und Episoden haben mich begeistert, aber es gibt einige, die ich ebenso anrührend wie lustig fand.

Ein Beispiel: Als Max, der eigentlich nie verreisen möchte, sich in einem Kapitel wegträumt in ferne Länder, kommt es zu folgender Szene in einem Postamt: 

Ich hätte gerne Briefmarken für Ansichtskarten.

Nach Übersee?

Nach Europa.

Europa liegt in Übersee, Sir.

Nun – ja.

(…) aber ich habe in langjähriger Beobachtung die Erfahrung gemacht, dass europäische Kunden sich oft schwertun mit dem Gedanken, dass ihre Heimat in Übersee liegt.

Von hier aus gesehen. Selbstverständlich.

Jawohl Sir. Wir befinden uns ja auch hier, nicht wahr?

Mir gefällt dieser leise Humor und die Art, wie Capus sich dem Leben und den Menschen nähert. Und uns mitnimmt in sein einfaches und entspanntes Leben. Kritische Stimmen sagen, das Buch plätschert mit netten Anekdoten vor sich hin. Ich fand es sehr wohltuend, es führt einen zurück zu dem, was wirklich wichtig ist im Leben.