„Fremde Schwestern“, von Renate Ahrens

Zwei Schwestern, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten: Die eine kontrolliert, planend, ordnungsliebend, die andere chaotisch, emotional, spontan.

Nach jahrelanger Trennung steht Lydia, die Rebellin, eines Tages mit ihrer siebenjährigen Tochter Merle vor Frankas Tür und bittet um Aufnahme. Für Franka, die nichts mehr hasst als Unvorhergesehenes in ihrem durch getakteten Alltag, bedeutet das Schreck, Abwehr und Herausforderung zugleich. Zumal Lydia am nächsten Tag zusammenbricht und ihre Tochter notgedrungen allein bei Franka lassen muss. Die ist kinderlos aus Überzeugung …

Die Siebenjährige würfelt Frankas Leben, einschließlich ihrer Beziehung zu dem etwas älteren Jan, gründlich durcheinander. Wie die Geschichte der ungleichen Schwestern langsam entblättert wird, bis zum für alle Beteiligten dramatischen Finale – das ist spannend und berührend zugleich.

Und die Sprache fasziniert mich. Manchmal fast stakkatoartig, in nüchternen, kurzen Sätzen, schildert die Autorin den Fortgang des Geschehens ebenso plastisch wie die Befindlichkeiten aller Beteiligten. Sehr schnell ist man mittendrin. Werden es die beiden Frauen schaffen, die alten Gräben aus Hass und Abwehr zu überwinden? Welche Rolle spielt Jan? Was geschieht mit Lydia? Und was mit Merle?

Fazit: sehr lesenswert! Außerdem die Entdeckung einer neuen Autorin – danke an meine Freundin Waltraud für den Tipp!

 

 

In eigener Sache

Ein geschlagenes halbes Jahr habe ich nicht gebloggt. Als wenn ich den Sinn eines Blogs nicht verstanden hätte … habe ich aber! Nur leider habe ich meine eigentlich sehr ausgeprägte Fähigkeit zum Multitasking überschätzt. Jedenfalls, was das Schreiben anbelangt.

Seit Ende vorigen Jahres bin ich ernsthaft damit beschäftigt, mir einen Lebenstraum zu erfüllen: einen Roman zu schreiben. In jeder freien Minute. Von denen es deutlich weniger gibt, als ich einst, als ich noch berufstätig war, erwartet hätte. (Wie habe ich es nur früher geschafft, zehn Stunden am Tag zu arbeiten, Haus und Hof trotzdem in Ordnung zu halten und Familie und Freunde nicht zu vernachlässigen?)

Bloggen fällt durchs Raster. Wenn Schreiben, dann das nächste Kapitel. Ich gelobe Besserung. Denn Bücher zu besprechen ist eine gute Gelegenheit, sich mit dem Gelesenen kritisch auseinanderzusetzen, dient also auch der Pflege des großen Roman-Projekts. Die nächste Buchvorstellung folgt in Kürze, versprochen!

„Exit Marrakech“ von Caroline Link

Wäre ich mit dem Vorsatz angetreten, hier nur besonders gute Filme vorzustellen, hätte dieser außen vor bleiben müssen. Ich habe den Film gerne angeschaut (was viel an den hervorragenden Schauspielern und den wunderschönen Bildern liegt), aber er hat auch Schwächen, hinterlässt ein ambivalentes Gefühl.

Der 17-jährige Ben (toll gespielt von Samuel Schneider, den ich bisher nicht kannte) soll in den Ferien seinen Vater Heinrich (Ulrich Tukur, gewohnt gut), in Marrakech besuchen, wo dieser als Regisseur an einem Theaterfestival teilnimmt.

Ben ist auf Konfrontationskurs gegenüber seinem Vater, den er nach der Trennung seiner Eltern wenig zu Gesicht bekommen hat. Vater und Sohn haben sich wenig zu sagen, der Vater bleibt am liebsten am Hotelpool und taucht mit einem Buch in eine Phantasiewelt ein, den Sohn reizt die Realität – in Marrakech – und er lässt sich vom bunten exotischen Treiben mitreißen. Er folgt einer jungen Prostituierten, mit der er sich anfreundet, in ihr entlegenes Bergdorf. Der Vater, der sich große Sorgen um seinen diabeteskranken Sohn macht, setzt sich notgedrungen in Bewegung, um Ben zu suchen. Die gemeinsame Rückfahrt, bei der es eine Reihe von Hindernissen zu überwinden gilt, bringt die beiden einander näher. Am Ende des Films ist Ben bereit, seine Halbschwester kennenzulernen, er ist erwachsen geworden.

Betörende Landschaftsaufnahmen verzaubern den Betrachter, idyllische Ansichten wechseln mit beklemmenden im Rotlichtviertel von Marrakech. Was mir auch gut gefallen hat: der Film spielt mit den Erwartungen des Zuschauers, tauchen etwa ein wenig finster aussehende Gestalten auf, argwöhnt man gleich, es könne sich um Kriminelle handeln, die es auf Bens Portemonnaie samt Kreditkarte abgesehen haben. Auch die Beziehung zu der jungen Prostituierten nimmt eine andere Wendung als gedacht.

Aber: die Geschichte ist nicht stringent erzählt, manches scheint hineingeschrieben, weil es dramaturgisch „hilft“, die Eröffnungsrede des Schuldirektors (Josef Bierbichler) ist allzu plakativ und mit erhobenem Zeigefinger, die junge Frau, in die Ben sich verliebt, bleibt auf der Hälfte des Films auf der Strecke. Dennoch: der langsamen Annäherung von Vater und Sohn zuzusehen, wärmt das Herz. Allerdings erreicht Caroline Link nach „Jenseits der Stille“ und „Nirgendwo in Afrika“ nicht die Dichte und Intensität dieser Filme.

 

 

 

 

 

Mit Voodoo gegen Allergien

Viele Jahre habe ich mich geärgert, dass ich kein Knoblauch vertragen konnte. Jetzt ist die Allergie weg! Wie? Mit Voodoo!

Bei Essens-Einladungen und auf Partys habe ich mich häufig als Pienzchen gefühlt mit meiner Frage „ist da Knoblauch drin?“ Habe ich aber einfach drauf los gefuttert, büßte ich das mit Magenkrämpfen und Dünnpfiff.

Ein Osteopath, der von seiner Allergie gegen Nachtschattengewächse befreit worden war, empfahl mir eine Heilpraktikerin. Die Vorstellung, beim Italiener die Speisekarte wieder rauf und runter essen zu können, war sehr verlockend! Gesagt, getan.

Die Heilkundige erklärte die Allergiebehandlung so: sie drückt „einfach“ auf den Reset-Knopf und stellt die ursprünglich vorhandene Verträglichkeit wieder her. Für mich war es Voodoo.

Nicht, dass jemand denkt, ich hätte eine Zaubermedizin eingenommen. Es ist noch viel unglaublicher: Ich habe mit einem Fläschchen in der Hand (das getrockneten Knoblauch enthielt), auf einer Liege gelegen, über meinem Bauch kreiste die Einhandrute und gab der Heilpraktikerin offensichtlich die richtigen Antworten auf seltsame Fragen der Art wie: „Habe ich etwas übersehen?“

Danach wies die weise Frau mich an, im Sitzen in einem bestimmten Rhythmus zu atmen – einatmen, ausatmen, hecheln – währenddessen sie entlang meiner Wirbelsäule rauf und runter trommelte, erst mit bloßen Händen, dann mit einem schnarrenden Gerät. Zehn Minuten ruhen und das war es dann auch schon.

Für daheim gab es allerdings Hausaufgaben: Fünfundzwanzig Stunden lang alle zwei Stunden sogenannte Torpunkte drücken. Ein kleiner Massagestab könne mir das erleichtern. Das Ding ist ursprünglich für andere Zwecke vorgesehen, aber es war wirklich praktisch!

Nun war ich natürlich nicht fünfundzwanzig Stunden am Stück zuhause. Die Torpunkte wollten dennoch regelmäßig gedrückt werden und zwar an Händen, Armen und Füßen. So grenzte es einmal an artistische Höchstleistung, als ich in einem total überfüllten Nahverkehrszug, von Angesicht zu Angesicht mit einem über und über gepiercten Punker, versuchte, möglichst unauffällig an Füße und Knöchel zu kommen. Obwohl ich in dem Fall aufs Erotikspielzeug verzichtet habe, sprachen die Blicke der Umstehenden Bände.

Aber Voodoo hin oder Voodoo her: es hat funktioniert. Ich habe schon dreimal seitdem ohne Probleme Knoblauch gegessen. Juchhu, der nächste Grillabend mit Knoblauchbutter kann kommen!

 

 

„Was in zwei Koffer passt, Klosterjahre“, von Veronika Peters

Es ist schon eine ganze Weile her, dass dieses Buch überall besprochen wurde und auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stand – es war 2007. Ich hatte es damals auf meiner Leseliste, dann habe ich es aus den Augen verloren, aber nun geschenkt bekommen und gerne gelesen.

Der Inhalt ist bekannt: Eine junge Frau (sehr jung – dass sie erst 21 Jahre alt ist, hat mich dann doch erstaunt) tritt ins Kloster ein, legt allen Widerständen zum Trotz ihr Gelübde ab – und verlässt das Kloster nach zwölf Jahren wieder, was einen nicht wirklich überrascht.

Das Buch ist gut geschrieben, locker, leicht, an einigen Stellen durchaus witzig, wobei sie da manchmal überzieht. Man erfährt eine Menge über die Abläufe im Kloster und über die „Laufbahn“ einer Nonne. Die Ich-Erzählerin stellt sich immer wieder die Frage nach dem Warum und Wieso ihres Eintritts und prüft sich, warum sie trotz aller Widerstände und Zweifel dort bleibt. Es fällt aber schwer, ihr diese inneren Auseinandersetzungen abzunehmen. Denn, je größer die Skepsis, die ihr entgegengebracht wird, desto größer ihre Entschlossenheit, die verschiedenen Stufen der Gelübdeablegung zu schaffen.

Glaubhaft schildert sie, wie sie manche Aspekte des Klosterlebens schätzen und lieben lernt, vor allem die geistlichen Gesänge und die Texte der alten geistlichen Meister begeistern sie. Obwohl persönliche Beziehungen im Kloster unerwünscht sind, knüpft sie engere Bande, in erster Linie mit einer älteren Nonne, die ihr vielleicht Mutterersatz ist. Psychologische Deutungen drängten sich mir immer wieder auf während des Lesens, denn bis zum Schluss bleibt die Frage unbeantwortet, was sie im Kloster sucht. Für Veronika Peters, so der Eindruck, dessen ich mich einfach nicht erwehren konnte, ist die Klostergemeinschaft eine Art Ersatzfamilie. Sie würde jetzt wohl sagen: „Sie haben gar nichts verstanden!“ Mag sein, aber sie bleibt ja andere Antworten schuldig.

Die Erzählerin weigert sich beharrlich, als man ihr Botengänge außerhalb des Klosters auftragen will und wehrt sich vehement, wenn auch vergeblich, gegen die ihr übertragene Aufgabe, die klostereigene Buchhandlung umzukrempeln und zu führen – zu weit am Rand des klösterlichen Lebens erscheint ihr diese Aufgabe, und der Leser weiß warum – den Verlockungen des Lebens „da draußen“ wird sie auf Dauer nicht standhalten können.

Ans Herz gewachsen ist mir die Protagonistin nicht. Aber abgesehen davon, dass ich es sehr interessant fand, so viel über das Innenleben eines Klosters zu erfahren, fand ich es gut, mich immer wieder selber mit Fragen zu konfrontieren, wie halte ich es mit dem Glauben, wäre das eine Lebensform für mich, was möchte ich, was von meinem Leben bleibt.

In ihrer Anfangszeit wird die Autorin von einer Mitschwester ermuntert nicht aufzugeben, diese steckt ihr einen Spruch zu. Sie fühlt sich von der Geste getröstet, sagt aber auch in ihrer typischen Schnoddrigkeit: „keine Ahnung, was der Spruch bedeutet.“ Mir gefällt er und er macht Sinn, für weltliches wie geistliches Leben gleichermaßen:

„Wir müssen unsere Segel in den unendlichen Wind stellen, erst dann werden wir zu voller Fahrt in der Lage sein.“ Alfred Delp

„Alle meine Wünsche“, von Grégoire Delacourt

Eines der ganz wenigen Bücher, die ich zweimal gelesen habe. Und das nicht nur, weil ich im Urlaub etwas zu wenig Lesestoff dabei hatte.

Beim ersten Mal habe ich die Geschichte, den Plot, verschlungen. Es geht um einen Lottogewinn; diesen Traum haben wir doch alle hin und wieder mal, oder? Dieses „Glück“ passiert einer ganz gewöhnlichen Frau, verheiratet mit einem ganz gewöhnlichen Mann, mit einem ganz gewöhnlichen Alltag. Sie ist sehr zufrieden mit ihrem Leben, wenn nicht glücklich. Der Gewinn trifft sie aus heiterem Himmel und er verändert ihr Leben fundamental. Mehr möchte ich nicht verraten, für diejenigen, die das Buch noch nicht kennen.

Beim zweiten Mal Lesen habe ich genauer hingeschaut, habe die Wörter und die Sätze auf mich wirken lassen, den Bildern, die entstehen, nachgespürt und versucht, diesem kleinen, großen Kunstwerk auf die Schliche zu kommen. Sicher, die Handlung ist bemerkenswert, so einfach wie intelligent. Aber auch die Erzählweise macht dieses kleine Büchlein (128 Seiten) zu etwas besonderem. Die verschiedenen Zeitebenen werden geschickt miteinander verwoben, die Sprache ist einfach, aber prägnant. Wichtiges Stilmittel sind die immer wieder dazwischen geschobenen kurzen Sätze: „Jemand klingelte.“ „Ich wurde ohnmächtig.“,„Meine Tränen schossen hervor. Nicht zu stillen.“ Diese „Stopper“ hindern einen daran, in eine gemütliche Erzählung einzutauchen, man ist hautnah bei der Protagonistin.

Die Summe von Story und Stil macht das Buch so besonders, so lesens- und empfehlenswert. Es klingt nach und nach und nach. Schwer vorstellbar, jemals wieder diese Geschichte zu vergessen, was mir sonst doch häufiger passiert.

Was ich ganz besonders mochte und anregend fand: „Die Listen meiner Wünsche.“

Bei den Hofer Filmtagen wurde gerade der Film „Millionen“ von Fabian Mörke vorgestellt, der sich anscheinend dem Thema sehr ähnlich nähert – den werde ich mir auf jeden Fall anschauen.

„Die hellen Tage“, von Zsuzsa Bánk

Endlich bin ich wieder auf ein Buch gestoßen, das etwas in mir zum Klingen bringt, das ich während des Lesens immer wieder sinken lasse, um den Sätzen nachzuspüren, die mich auf die eine oder andere Weise verzaubert haben. Zäh zogen und zerrten aber die ersten Zeilen und Seiten an mir, hatten ihre Mühe mich herauszuholen aus meiner durchgetakteten Alltagswelt. Es geschieht wenig, und die Sätze sind sehr, sehr lang. Erst nachdem ich diese gewisse Ungeduld (wann passiert etwas?) abgelegt hatte, konnte ich genießen – und wie!

Darum geht es: Das Leben dreier Kinder wird beschrieben, ihre keinesfalls makellosen, aber oft hellen Tage, ihr Weg ins Erwachsensein. Sie haben starke Mütter an ihrer Seite, die Väter spielen nur eine untergeordnete Rolle. Allen voran ist es Évi, die einen gefangen nimmt. Sie ist so anders als all die anderen Mütter (und Menschen), hat unglaublich hart zu kämpfen und überstrahlt dennoch alles. Und wie die Frauen sich gegenseitig unterstützen, nachdem das anfängliche Misstrauen verschwunden ist – da geht einem das Herz auf.

Obwohl ich erst die Hälfte der fünfhundert Seiten gelesen habe, weiß ich, ich werde sehr traurig sein (egal, wie es ausgeht), denn dies ist eins von den Büchern, nach deren Lektüre man glaubt, man werde für lange Zeit keines mehr finden, das einen so berührt. Die Sprache der Autorin ist poetisch und zupackend zugleich, sie spricht alle Sinne an und lässt sämtliche Personen wie leibhaftig vor einem stehen. Die Sätze fließen, lösen wohlige Gedanken ebenso aus wie wehmütige, wecken Erinnerungen:

„Wir fanden uns, wie sich Kinder finden, ohne zu zögern, ohne Umstände, und sobald wir unser erstes Spiel begonnen, unsere ersten Fragen gestellt hatten, verbrachten wir unsere Tage miteinander, fädelten sie auf wie an einer endlosen Kette, und hielten jede Unterbrechung, mit der andere uns trennten, für eine Zumutung.“

Dieses Buch tut gut, denn es lenkt den Blick auf das, was im Leben zählt: Freundschaft, Mitmenschlichkeit und die vielen kleinen, kostbaren Momente jedweder Art. Es lässt mich an einen Spruch von Mahatma Gandhi denken: „Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.“

Ein Hoch auf den Herbst

Während um mich herum geklagt wird, dass der Sommer zu Ende geht, laufe ich zu Hochform auf. Ich freue mich auf den Herbst! Brütende Hitze braucht doch kein Mensch. Gegen Kälte kann ich mich warm anziehen, gegen Regen schützen, aber bei Hitze fühle ich mich wie ausgebremst. Und wie schön es jetzt draußen ist! Der Himmel ist oft klarer und von tieferem Blau, die Luft frischer und das Licht besonders  schön. Die letzten Brombeeren verstecken sich im Gewirr der Zweige, das Korn ist eingefahren und lässt den weiten Blick über die Felder zu. An den Rosensträuchern leuchten die Hagebutten sanftrot, und vereinzelt raschelt schon Laub unter den Füßen.

Wenn es regnet und stürmt, kann ich mit Anstand drinnen bleiben. Auch der Garten ruft nun bald nicht mehr nach mir. Ich kann mich an den Schreibtisch setzen und wieder mehr bloggen, kann kramen, lesen, schreiben, die Wohnung umdekorieren. Es wird nun wieder früher dunkel, und nach der sommerlichen Fernsehabstinenz freue ich mich auf das geliebte Sonntagabend-Ritual – Tatort gucken und zwar einen aktuellen. Dazu gibt es statt halbherzigem Rosé vollmundigen Rotwein.

Auch klamottentechnisch beginnt nun bald die wunderbare Zeit der herrlich nach Leder riechenden Stiefel, der kuscheligen Strickjacken, Schals und Rollkragenpullover. Ok – noch ist es nicht so weit, auch ich genieße die milden Spätsommertage sehr – aber dennoch: Ich freue mich auf die erste Kastanie, diesen schimmernden Handschmeichler, der endgültig den Sommer verabschiedet. Wenn es im Volksmund tröstend heißt „auch der Herbst hat schöne Tage“ halte ich dagegen „pah, der Herbst hat die schönsten Tage!“

Out of Rosenheim?

Rosenheim – so dachte ich bisher – ist ein kleines, verschlafenes, spießiges Nest in Bayern. Gerade waren wir eine Woche dort, Haus und Hund hüten bei Freunden, und ich gestehe beschämt, ich habe mich geirrt und zwar gründlich. Rosenheim hat nicht nur eine geniale Lage für alle möglichen Freizeitaktivitäten: Rosenheim ist mit 60.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt in Oberbayern und hat richtig viel zu bieten.

Schon auf der Autobahn überraschte mich das Schild „Historische Altstadt Rosenheim“. Und in der Tat, Marktplatz und Umgebung können sich sehen lassen: wunderschöne Hausreihen im Gründerzeitstil mit farbigen Fassaden und verschnörkelten Erkern erfreuen das Auge. Ebenso finden sich dort die von mir so sehr geschätzten Arkaden, die südlichen Flair ausstrahlen – wie man es auch von Bozen kennt.

Begeistert waren wir von der alten Kunstmühle, die heute ein Café beherbergt ­– schwer zu entscheiden, ob man lieber draußen sitzt, am Flüsschen Mangfall, oder drinnen, in dem alten, wunderschön gestalteten Industriegebäude. Ein Ausflug ins benachbarte Kolbermoor ist ebenso empfehlenswert. Die Alte Spinnerei ist ein Baudenkmal an der Mangfall, das jahrelang im Dornröschenschlaf lag und vor ein paar Jahren zum Leben erweckt wurde. Nun befinden sich dort inmitten der alten Industriedenkmäler Cafés, ein italienisches Restaurant, und kleine, individuelle Geschäfte sowie jede Menge schicker Wohnungen und Büroräume.

Es hätte noch eine Menge zu sehen gegeben (z.B. lief gerade eine Ausstellung über Alexander den Großen im Lokschuppen), aber wir waren auf Wandern gepolt und Rosenheim ist der ideale Standort für größere und kleinere Touren in die Berge und an Dutzende verschiedener Seen, in denen man herrlich baden kann. Dafür braucht man Rosenheim übrigens noch nicht mal zu verlassen, an Mangfall und Inn tummelten sich so viele Menschen, wie ich sie vielleicht an der Isar in München vermutet hätte.

Der Sohn von Freunden studiert Holztechnik an der dortigen Fachhochschule. Er schätzt die zahlreichen Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten, sagt aber auch, dass es für junge Leute etwas öde ist. Diese Seite mag es auch geben. Für uns hat die Zeit nicht gereicht. Für uns ist Rosenheim jetzt „in“.

Fit ohne Fitness-Studio?

Viele Jahre war ich Mitglied in einem Fitness-Studio und bin ziemlich diszipliniert zweimal die Woche dort hingetrabt. Auslöser für diesen körperlichen Fleiß war mein Rücken – er lässt mich nur in Ruhe, wenn ich ihn und sein Gegenüber, den Bauch, regelmäßig trainiere. Also war ich eine halbe Stunde auf dem Laufband und habe ein paar gezielte Geräte-Übungen gemacht.

Vor gut einem halben Jahr bin ich an der Schulter operiert worden und dachte, wenn das wieder völlig in Ordnung ist, dann kann ich mein Spektrum im Fitness-Studio endlich erweitern, vielleicht auch an Kursen teilnehmen. Nun ist das Gegenteil eingetreten – ich trete aus. Nach der Schulter OP  hatte ich mir angewöhnt, jeden Tag zehn Minuten Gymnastik und einen strammen Spaziergang zu machen, um mich wenigstens einigermaßen in Form zu halten. Ein paar Monate ohne Studio  haben mir gezeigt: Ich bin nicht weniger fit, aber ich habe viel mehr Spaß daran, mich zu bewegen.

Um das klarzustellen: Ich war in einem guten Studio, mit guter Ausstattung, guten Trainern, angenehmer Atmosphäre. Aber es bleibt eben doch ein geschlossener Trainingsraum, es bleiben enge Schränke in den Umkleiden, es bleibt der Weg hin und zurück. Und wie viel schöner ist es doch, in der frischen Luft zu walken anstatt auf dem Laufband. Nun schaue ich nicht mehr auf das Kommen und Gehen auf dem Parkplatz des Studios, sondern auf glitzernde Wellen des Rheins und wunderschöne Vogel-Formationen. Und ich merke, es fällt mir leichter, mich täglich zum Sport aufzuraffen, als zweimal die Woche die Tasche für die Muckibude zu packen; durch das Tägliche bekommt es einen Automatismus.

Zu Beginn habe ich noch gezweifelt, ob ich mir „erlauben“ kann, auf das Fitness-Studio zu verzichten, habe diverse kompetente Menschen befragt, ob man gut genug ohne Geräte trainieren kann. Man kann! Und seitdem ich mich mit dem Thema beschäftige, fallen mir  – wie das dann so ist – überall die Infos dazu entgegen. Gerade habe ich in der F.A.Z. einen Artikel gelesen „Sport ganz puristisch (…) mit dem eigenen Körpergewicht und einfachen Geräten.“ Streetworkout nennt sich diese Bewegung, sie rät: „raus aus den dunklen Gyms, den eigenen Körper zum Training nutzen.“ Man könnte auch sagen, zurück zu Turnvater Jahn.

Ich fühle mich bestätigt. Beflügelt schwinge ich mich frühmorgens bei dem traumhaften Sommerwetter aufs Fahrrad und halte die Nase in den Wind. Wie es dann im Winter wird, werden wir sehen …