Eine schöne Geschichte, die sich sehr langsam entwickelt und die wieder in Gesthuysens Heimat, am unteren Niederrhein, spielt. Eigentlich sind es zwei Geschichten, über zwei Frauen unterschiedlicher Generationen, und das macht es auch so interessant. Denn Gesthuysen verknüpft geschickt die Probleme, mit denen Enkelin Sara sich in der Gegenwart herumschlägt mit denen ihrer Großmutter Ruth – zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs und aktuell, im hohen Alter.
Ruth lebt mit ihrem Mann Walter, beide in den späten Achtzigern, nach einem Sturz in einem Haus für Betreutes Wohnen. Ruth blüht auf und genießt die vielen sozialen Kontakte und die Möglichkeiten, die ihr das Heim bietet, endlich kann sie wieder im Chor singen. Ihr Mann beäugt die Aktivitäten seiner Frau äußerst kritisch und möchte am liebsten sofort zurück nach Hause. Enkelin Sara lebt mit ihrem Partner und ihrem kleinen Sohn in Düsseldorf. Als sie die Zusage für ein Forschungsstipendium in Cambridge erhält, stürzt sie das in Gewissenskonflikte. Familie oder Karriere?
Langsam entrollt die Autorin die Lebensgeschichte von Ruth, die überwiegend eine Geschichte ihrer Ehe ist und die der Familie, in die sie eingeheiratet hat. Was für ein Mistkerl, dachte ich, als es um Ruths Schwiegervater ging. Du meine Güte, Frauen mussten früher viel aushalten, als sie ihrem Mann noch „untertan“ waren. Nach fünfundsechzig Jahren Ehe fragt sich Ruth nun, ob sie überhaupt nachholen kann, was sie versäumt hat. Und Enkelin Sara schwankt zwischen dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und ihrer Sehnsucht nach einem geregelten Familienleben.
Den Stil von Gesthuysen finde ich eher schlicht. Zum Glück bietet sie keine einfachen Lösungen und kein Friede-Freude-Eierkuchen Ende. Jede Frau muss ihren eigenen Weg finden, das ist die Botschaft, die gut hergeleitet wird. „Arbeite dich nicht an irgendwelchen Theorien ab“, sagt Saras Vater zu seiner Tochter, ein Satz, der mir gut gefällt. So spannt das Buch einen schönen Bogen über siebzig Jahre Frauenleben und ist eine nette Lektüre. Als Niederrheinerin gefallen mir natürlich auch die Dialekt-Einsprengsel. Würde ich Sterne vergeben, wären es drei.