Stay away von Gretchen, Susanne Abel

Ein erschütterndes Thema, super recherchiert und spannend aufbereitet. Gut zu lesen und vor allem bereichernd, weil es um ein Sujet geht, das bisher sehr vernachlässigt wurde:  Die Geschichte dreht sich um die sogenannten Brown Babys, die während der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden und überall ungewollt waren. Aber es geht auch um Rassismus, um die Weitergabe von Traumata an die nächste Generation, um Demenz – die Autorin widmet sich vielen Themen. Und natürlich ist es auch eine große Liebesgeschichte.

Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen. Im Jahr 2015 kümmert sich Tom um seine demente Mutter Greta in Köln. 1945 muss Greta mit ihrer Familie aus Ostpreußen flüchten, erlebt Schreckliches und schlägt sich unter schwierigsten Bedingungen in den Jahren nach dem Krieg durch. Die historische Ebene hat mir deutlich besser gefallen, der Sprachstil im Jetzt, rund um den erfolgsverwöhnten Workaholic Tom, ist mir zu flapsig, zu betont cool. 

So ist mein Urteil nicht durchgängig positiv. Das Ende ist sogar ausgesprochen ärgerlich, und schmälert das beeindruckende Bild, das die sorgfältigen Recherchen zuvor geprägt haben. Der Protagonist Tom, ein bekannter Kölner Nachrichtenmoderator, ist zunächst herzlich unsympathisch, Typ gefühlloser, oberflächlicher Macho. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber er wandelt sich, und seine Wandlung ist nicht ganz glaubwürdig gelungen. 

Aber, eigentlich sind das Nebensächlichkeiten, denn der Autorin gebührt Dank und Anerkennung, dass sie das Leben der Brown Babys mit ihren größtenteils erschütternden Schicksalen zum Thema gemacht hat. Das umfangreiche Literatur- und Filmverzeichnis am Ende zeugt von ihrer akribischen Recherche. Das Ganze in eine unterhaltsame Form zu bringen, ist ihr bestens gelungen. Von meinen kritischen Worten sollte sich also niemand abhalten lassen, das Buch zu lesen – alles in allem ist es sehr lohnend!

PS/ Eine mehrteilige Historienserie in der ARD, die heute Abend beginnt, scheint ähnliche Themen aufzugreifen: Ein Hauch von Amerika.

„Alles worauf wir hofften“, von Louisa Young

Äußerst eindringlich beschreibt der Roman (der Originaltitel The Heroes’ Welcome ist viiiel besser!) die äußeren und inneren Verletzungen von Kriegsheimkehrern. Und was ihre Rückkehr von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs für ihre Umwelt bedeutet, die sich völlig hilflos mit völlig veränderten Männern konfrontiert sieht. Das kollektive Aufatmen – der Krieg ist vorüber, lasst uns nach vorne schauen – wird durch die beiden Kriegsveteranen (gerade mal in ihren Dreißigern) empfindlich gestört.

„Sie müssen nur einen Roman über den Ersten Weltkrieg lesen, nämlich diesen,“ rezensiert The Times. Und in der Tat, die Geschichte der beiden Paare hat mich sehr in den Bann gezogen, bewegt und diese (oft vernachlässigte) Seite des Kriegs intensiv  betrachten lassen. Da sind Nadine und Riley, dessen Gesicht mühsam wieder zusammengeflickt wurde und der kaum sprechen und essen kann und das Mitleid, das ihm allerorten entgegenschlägt, nicht erträgt. Und die (einst) wunderschöne Julia und Peter, der völlig verbittert ist und den seine Erlebnisse auf dem Schlachtfeld bis in seine Träume begleiten – wenn sie ihn überhaupt schlafen lassen. Und der es kaum schafft, mit seiner Frau zu kommunizieren, ohne verletzend zu sein:

„Er blickte zu ihr (…) und sah, dass sie, wie nicht anders zu erwarten, diese überraschend freundlichen Worte ernst nahm und sie mit gewaltiger Bedeutung auflud. Oh Gott. Sie brach in Tränen aus. Sag etwas. Aber nicht ’Verpiss dich’. Sag das nicht.“

Werden die beiden Männer es schaffen, wieder Fuß zu fassen? Werden die Beziehungen zu ihren Frauen diesen immensen Spannungen standhalten? Wie kann man überhaupt weiterleben im Angesicht all der grauenvollen Erinnerungen und des unvorstellbaren Leids? Wie gehen die Frauen mit ihren immer wieder aufs Neue enttäuschten Hoffnungen um? Sehr lesenswert!