Manches an dieser Geschichte ist etwas zu konstruiert, aber darauf kommt es letztlich nicht an.
Kaspar entdeckt nach dem Tod seiner Frau Birgit, dass sie bei ihrer Jahre zurückliegenden Flucht zu ihm in den Westen viel mehr aufgegeben hat, als er ahnte. Sie war immer sehr verschlossen, hat wenig preisgegeben, und nun erfährt er, dass sie seinerzeit eine Tochter im Osten zurückgelassen hat. Kaspar begibt sich auf eine mühsame Suche und findet diese Tochter schließlich. Sie lebt mit Mann und Kind in einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land. Das Kind, die vierzehnjährige Sigrun, findet ihren frisch aufgetauchten Stiefopa spannend, und auch Kaspar freut sich über die neu gewonnene Enkelin und bemüht sich um sie.
Aber zwischen ihnen liegen Welten, das Mädchen ist in der völkischen Gemeinschaft fest verankert, und ihre Eltern wachen sorgsam über sie. „Sigrun gehört Deutschland, und ich werde nicht zulassen, dass du sie Deutschland wegnimmst,“ sagt der Vater mit drohendem Unterton zu dem neu aufgetauchten Fremden. Doch Kaspar kämpft unbeirrt um den Kontakt zu Sigrun, schafft auch, dass sie ihn besuchen darf, aber immer wieder führt ihn das an seine Grenzen.
Man verfolgt gebannt den Weg, den Großvater und Enkelin miteinander zurücklegen, hält den Atem an, als sie das Konzentrationslager Ravensbrück besuchen. Man hat die selben Fragen, wie Kaspar sie sich stellt: „Wann und wie er zu Sigruns Ansichten etwas sagen und, vor allem, wie viel er sagen sollte, beschäftigte ihn. Lieber zu viel als zu wenig? Lieber zu wenig als zu viel? Wenn ein Ereignis oder Erlebnis dazu einlud oder nur wenn sie das Gespräch darauf brachte?“
Wie sehr muss Kaspar sich verbiegen? Über die klassische Musik und das Klavierspiel finden die beiden eine Schnittstelle. Doch wird das ausreichen? „Kaspar fühlte sich hilflos. Wie sollte er diesen Berg von Ressentiments abtragen?“ Das Buch hinterlässt aufgrund des Themas einen tiefen Eindruck, und Schlink ist auch ein großartiger Erzähler. Danke an Simone für den Tipp!