Ulrike Renk, Seidenstadt-Saga

Es gibt so viele unterschiedliche Leseererlebnisse! In mein letztes bin ich ein wenig hineingestolpert. Gerade hatte ich noch zu einer Freundin gesagt, ich könnte mir vorstellen, einen Roman über meine Heimatstadt Krefeld, die ehemals berühmte Samt- und Seidenstadt, zu schreiben –  da stoße ich auf eine Buchreihe: Die große Seidenstadt-Saga. Sie spielt in Krefeld und England, und damit war natürlich klar, ich will sie lesen.

Aber zunächst war ich gar nicht begeistert: Umschläge und Titel lassen an Rosamunde Pilcher denken, der Schreibstil ist eher schlicht, Fehler fallen einem nur so entgegen, nur sehr am Rande geht es um Mode und Stoffe und um die Samt- und Seidenzeit Krefelds. Aber ich bin drangeblieben, warum?

Die Romane basieren auf der wahren Geschichte der jüdischen Familie Meyer aus Krefeld, für die nach der Progromnacht 1938 nichts mehr ist, wie es war. Die Autorin stützt sich auf die Tagebücher von Ruth, der älteren der beiden Meyer-Töchter. Die Kindheit von Ruth ist unbeschwert und behütet. Diesem Teil widmet Renk viel Raum, aber dann zieht sich langsam die Schlinge zu, und der Autorin gelingt es unglaublich gut, den Leser die permanente Angst der Juden spüren zu lassen. Man versteht, dass diese Ängste immer Teil des Lebens sein werden, auch noch nach vielen Jahren. Man verfolgt atemlos, wie den jüdischen Menschen immer mehr Freiheiten genommen werden, wie ihnen Kino- und Schwimmbadbesuche untersagt werden, sie ihre Jobs verlieren, ihre Häuser, sie gezwungen werden, ihr Erspartes an das Regime abzutreten. Und man ist mit ihnen gemeinsam fassungslos, dass sich so jemand wie Hitler tatsächlich an der Macht hält, ebenso wie man, genau wie sie, nicht glauben kann, dass die Welt nach den fürchterlichen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs erneut auf einen Krieg zusteuert. Man kennt die Fakten und verfolgt doch ungläubig und erschüttert den Werdegang der Geschichte – und das ist wirklich süffig geschrieben. 

Im Anhang erläutert die (Krefelder) Autorin, wie sie auf das Thema gekommen ist: Bei einem Besuch der Villa Merländer, des Krefelder NS-Dokumentationszentrums, in dem Ruths Tagebücher aufbewahrt werden, traf sie zufällig auf einen Nachfahren Ruths. So wurde die Idee für die Roman-Reihe geboren. Man erfährt auch, dass Ruth Meyer den Kontakt nach Krefeld gehalten hat, 1987 hat sie dort vor Schülern über ihre schrecklichen, unfassbaren Erlebnisse in der Nazi-Zeit berichtet. 

„Unsere wunderbaren Jahre“, von Peter Prange

1948, Währungsreform in Deutschland. Sechs Freunde aus Altena im Sauerland erhalten ihre vierzig DM „Kopfgeld“. Sie sind jung und voller Aufbruchstimmung. Welche Träume werden sie verwirklichen und welche Hoffnungen werden sich erfüllen? Prange begleitet die sechs Haupt-Akteure von 1948 bis 2016 durch die wechselvolle Geschichte Deutschlands. Er verknüpft die persönlichen Schicksale mit dem Zeitgeschehen: Wiederaufbau, Umgang mit den Verbrechen der Nazi-Zeit, Eintreffen der ersten Gastarbeiter, Bau und Fall der Mauer, Einführung des Euro, …

Der eindeutig interessanteste Lebensweg ist der von Tommy, der sich als intelligenter, smarter Typ vom System der DDR blenden lässt und erst Jahre später das Unrechtsregime als solches erkennt.

Stilistisch, na ja. Die Sprache ist teilweise schlicht und in Ansätzen kitschig. Manche Nebenfiguren sind arg stereotyp angelegt, die meisten Hauptfiguren bleiben eher blass. Ab und an gibt es seeeerhr lange Sätze, bei denen ich mich nach einem Punkt sehnte. Aber: Prange schreibt auch sehr süffig, man kann sich richtig in die Story reinfallen lassen. In kurzen bis sehr kurzen Kapiteln (sehr häufig mit Cliffhanger) springt Prange von Person zu Person; im Fokus stehen die drei Schwestern Ruth, Ulla und Gundel und die Freunde Tommy, Bernd und Benno. Sie alle werden ihr Leben lang auf die eine oder andere Art und Weise miteinander verbunden bleiben. Vieles erinnerte mich an das eigene Erwachsenwerden und den (manchmal mühsamen, meist schönen) Weg durchs Leben. „Unsere wunderbaren Jahre“ ist ein Schmöker mit ein bisschen Geschichte und viel Zeitkolorit, also nette Unterhaltungsliteratur!