Schon seit geraumer Zeit lese ich keine Krimis mehr. Aber ich lese Elizabeth George! Halt, das sind doch auch Krimis, und zwar die mit dem berühmten Inspektor Lynley und seiner kongenialen Partnerin Barbara Havers … Das stimmt zwar, aber … Zwar gibt es bei George auch Tote, es geht aber eigentlich um ganz andere Dinge. Das macht ihre Bücher – für mich – so interessant. Der vorliegende Titel ist wirklich nicht besonders spannend und fängt sogar erst ab Seite 300 an, richtig interessant zu werden! Aber bei George bleibe ich dran. Sie schafft so eindringliche Charaktere – vor allem bei den Hauptfiguren will man unbedingt wissen, wie es weitergeht. Wird Barbara Havers degradiert, oder schafft sie es sich zu rehabilitieren? Was ist mit Lynleys neuer Liebe? Wird Isabelle Ardery, die gemeinsame Chefin der beiden Ermittler, ein wahrer Kotzbrocken, ihre Alkohol-Probleme in den Griff bekommen und vielleicht doch noch menschlichere Züge zeigen?
Der Plot: In dem kleinen Örtchen Shropshire in den Midlands wird der verhaftete Diakon in einer Polizeizelle tot aufgefunden, Selbstmord! War es wirklich Selbstmord? Der Geistliche war des Missbrauchs von Kindern beschuldigt worden. Also die Tat eines Verzweifelten? Oder steckt in Wirklichkeit etwas ganz anderes dahinter? Erst ermitteln Ardery und Havers, und als ich mich schon bang fragte, was ist denn mit Lynley – kommt dieser ins Spiel, und das altbewährte Ermittler-Duo nimmt seine Arbeit auf, und es ist wie immer eine große Freude, ihnen dabei zuzusehen. Aber durchaus auch traurig. Es geht um Familien, in denen nichts stimmt , mit Eltern, die blind sind, was ihre Kinder betrifft, sie zu bestimmten Lebenswegen zwingen wollen, sie misstrauisch und akribisch überwachen. Auch das sind ja große Stärken von George: die genauen Gesellschaftsbilder und die atmosphärische Dichte.
Die Einwände: Wer ausführliche Charakterbeschreibungen nicht mag, ist bei George nicht richtig aufgehoben. Ebenso wer ein Problem mit sehr dicken Büchern hat. (Wenn ich im Bett liegend lese, fällt mir so ein „Trümmer“ gerne schon mal auf den Kopf 😉 ) Und auch dieses Mal dachte ich, man hätte die 857 Seiten locker um ein Viertel kürzen können, ohne dass der Roman an Qualität verloren hätte. In meinen Augen ist es auch nicht Georges stärkster Roman. Aber das ist alles in den Krümeln gesucht! Es ist wie immer sehr lesenswerte Lektüre, die auf vertraute Weise gut unterhält. Und wie immer entlässt George ihre Leser mit dem Wunsch, bald wieder von Lynley und Havers zu hören bzw. zu lesen.