„Die geheime Geschichte“, von Donna Tartt

51WgcfH0JtL._SX340_BO1,204,203,200_Auch wenn ich wieder lange gebraucht habe, bis ich Feuer gefangen habe: „Die geheime Geschichte“ ist ein fantastisches Buch, fantastisch geschrieben.

Der Ich-Erzähler Richard Papen ist überaus glücklich, als er ein Stipendium für den College-Besuch bekommt und dadurch auch dem ungeliebten Elternhaus in einem kalifornischen Provinznest entfliehen kann. Begeistert nimmt er seine Studien im Hampden College in Vermont, Neuengland, auf. Eine kleine Studentengruppe mit einer geheimnisvollen Aura erweckt schnell sein Interesse. Die fünf studieren Griechisch bei einem skurrilen Professor, der keinesfalls weitere Schüler unterrichten möchte. Doch es gelingt Richard aufgenommen zu werden in diesen exklusiven Zirkel mit den schillernden Charakteren: Henry ist der heimliche Anführer der Gruppe, ein extrem schlauer Kopf; Francis, ein reicher Erbe, ist Neurotiker und Exzentriker zugleich; die Zwillinge Charles und Camilla sind auf sich gestellte, aufs engste miteinander verbundene Waisen; und last not least, ist da Bunny, der gutmütige und etwas trampelige Schnorrer – allesamt eine Mischung aus leicht dekadenten, arroganten und doch liebenswerten Schnöseln.

Griechisch büffeln, ausgedehnter Alkoholkonsum zu jeder Tageszeit und feucht-fröhliche Wochenenden auf Francis’ feudalem Landsitz bestimmen ab nun Richards Leben. Er ist begeistert – doch je mehr Zeit er mit der Gruppe verbringt, desto mehr wird ihm klar, dass es da ein dunkles Geheimnis gibt, das die Freunde verbindet. Eine unschöne, geheime Geschichte … Wie Richard mehr und mehr in den Bann dieser Geschichte gerät und sich die Dinge nach und nach verselbständigen, das ist wirklich großartig geschrieben und hat mich auf eine süchtig machende Art in das Buch hineingezogen. Tartt beobachtet messerscharf und schreibt super geschliffen. Ein Beispiel für ihren Stil, es geht um Bunny: „(…) geleitet nur durch die trüben Leuchtfeuer von Impuls und Gewohnheit, segelte er durch die Welt im Vertrauen darauf, dass sich auf seinem Kurs keine Hindernisse erheben würden, die so groß waren, dass sie nicht durch die bloße Wucht der Vorwärtsbewegung untergepflügt werden könnten.“ Diesem Satz folgt ein wichtiges Aber, das hier nicht näher ausgeführt werden kann, weil ich vom Inhalt nicht mehr verraten möchte.

Nur so viel, es ist ein Krimi der ganz anderen Art, eher eine Psychostudie. Wenn man sich darauf einlässt und genügend Muße zum Lesen mitbringt, wird man belohnt mit atmosphärisch dichten Bildern, mit Hochspannung und viel Stoff zum Nachdenken

„Nur eine böse Tat“, von Elizabeth George

Sie ist einfach die Beste! Ich lese inzwischen kaum noch Krimis, die meisten sind mir zu blutig – aber die neue George ist wieder einmal ein Genuss von der ersten bis zur letzten Seite. Wie sie es schafft, die Spannung hochzuhalten (auf immerhin 862 Seiten), ist unglaublich. Über weite Strecken geht es noch nicht einmal um Mord und Totschlag, sondern um berufliche Harakiri-Aktionen von Barbara Havers und das langsam wieder erblühende Privatleben (nach dem Mord an seiner Frau Helen) von Thomas Lynley. Das kann sich nur ein Krimiautor erlauben, der einem die handelnden Personen richtig nahebringt.

Das ungleiche Ermittlerpaar, er adelig, groß, schlank und kultiviert, mit zumindest äußerlich geordnetem Leben, sie klein, stämmig und in jeder Beziehung gegen den Strich gebürstet – ständig dabei, sich von einer Bredouille in die nächste zu manövrieren – ist einem über die Jahre extrem ans Herz gewachsen. Meisterhaft schafft George es, uns die beiden und ebenso die Nebenfiguren und das (britische und italienische) Ambiente vor Augen zu führen. Ihre Romane sind akribisch recherchiert, (was auch der Umfang der Danksagungen am Ende des Buches eindrucksvoll belegt), und psychologisch äußerst geschickt aufgebaut. Wer könnte nicht nachvollziehen, wie schnell es doch geht, „nur eine böse Tat“ zu begehen!

Die Geschichte dreht sich um die Entführung der neunjährigen Haddiyah; das Mädchen wird zum Spielball der Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern und weiteren ihr nahestehenden Erwachsenen. Barbara Havers liegt das Kind ganz besonders am Herzen, ist sie doch die Tochter ihres Nachbarn und Freund (oder mehr?) Azhar. Um das Mädchen zu finden, setzt sie alle Hebel in Bewegung, koste es, was es wolle …

Auch meisterhaft von George: sie schafft es jedes Mal, Spuren zu legen, die einen ungeduldig ihren nächsten Roman erwarten lassen.

Kürzlich hatte ich mal die Idee einer Gegenüberstellung: Elizabeth George vs. Nele Neuhaus, zwei überaus erfolgreiche Autorinnen und ihr Erfolgsgeheimnis. Wie werden Personen beschrieben, wie wird man ins Geschehen gezogen, wie verläuft der Spannungsbogen? Nach der Lektüre des aktuellen George-Titels habe ich mich davon verabschiedet – zu groß ist der Klassenunterschied – wen ich für besser halte, dürfte ja wohl keine Frage sein …