„Mittlere Reife“, von Isabel Varell

Jeder scheint sie zu kennen: Isabel Varell – vielleicht wegen ihrer Ehe mit Drafi Deutscher? Oder als Dschungelcamp-Teilnehmerin? Ich kannte sie bislang nicht. Bei einer musikalischen Lesung auf Norderney habe ich sie erstmals erlebt und das hat mich neugierig gemacht auf ihr Buch. Und auf ihr Leben. Ihr bester Freund Hape Kerkeling hat sie ermutigt, diese Biografie zu schreiben. Varell hat wirklich viel erlebt, nicht nur die erwähnte Zeit mit dem Enfant terrible Drafi Deutscher. Sie hat sich, nach schwieriger Kindheit, durch viele Höhen und Tiefen gekämpft und ist doch sehr normal geblieben, sehr authentisch. Neun Marathons ist sie gelaufen, als ehrenamtliche Sterbebegleiterin hat sie gearbeitet, ein Jahr lang die Hauptdarstellerin in der Telenovela „Rote Rosen“ gespielt, beim Dschungelcamp mitgemacht.

Über Drafi Deutscher ist allgemein bekannt, dass er schwierig war, unberechenbar, Alkohol und Drogen nicht widerstehen konnte. Aber Varell erzählt sehr nachvollziehbar, wie sich ihr Bauch langsam über den Kopf hinweggesetzt hat und sie sich in diesen Mann, der auch so viele gute Seiten hatte, verliebt hat. Wie glücklich sie eine Zeitlang waren. Aber auch, wie die Liebe unter den Belastungen und Problemen langsam schwindet, einer lähmenden Hilflosigkeit weicht und nur noch Hündin Nora „schwanzwedelnder Bindestrich“ zwischen den beiden ist. Bis Varell die Trennung schafft und ganz von vorn beginnen muss.

Nachdem ich Frau Varell als sehr natürlich und sympathisch auf der Bühne erlebt habe, rundete sich auf diese Weise das Bild von ihr: Sie ist ein Mensch mit einer ganz starken Bereitschaft, immer das Gute im Menschen zu sehen und dem Leben positiv zu begegnen; sie ist quirlig und lebensbejahend, manchmal etwas blauäugig.

Das Buch ist nett zu lesen und ist durchaus kurzweilig. Ich habe mal wieder festgestellt, wie unterschiedlich Lesen sein kann, welch unterschiedliche Gedanken und Gefühle Bücher in einem auslösen. Sie unterhalten „nur“, sie bewegen und berühren, sie animieren, provozieren und motivieren – und noch so viel mehr. Was machen Bücher mit uns? Dazu demnächst mal mehr!

„Der Junge muss an die frische Luft“, von Hape Kerkeling

Bis etwas Seite Hundert ist das Buch eine durchschnittliche Biografie – nicht besonders aufregend – und wäre der Autor nicht so berühmt und hätte ich nicht vorab so viel über die Geschichte gelesen, ich hätte es womöglich weggelegt. Es war sicherlich ein Fehler, dieses Buch direkt nach dem Distelfink mit der überaus kunstvollen Schreibe von Donna Tartt zu lesen. Kerkelings Sprache ist schlicht, es gibt so gut wie kein Substantiv ohne Adjektiv („der grauhaarige, griesgrämige Wärter mit dem dicken Schlüsselbund in der sonnengegerbten Hand“), das kann auf Dauer ganz schön nerven.

Aber die zweite Hälfte entschädigt für das Durchhalten. Es ist faszinierend (und über weite Strecken auch ergreifend), wie die Jugendjahre und die Menschen, die ihn begleiten, Kerkeling prägen. Dabei geht es nicht nur um Eltern, Großeltern und die anderen Blutsverwandten, die teilweise notgedrungen in das Leben des Jungen eingreifen. Auch der weitreichende Einfluss einer Lehrerin wird deutlich; die wichtige Rolle, die die Familie seines besten Freundes einnimmt, wird erwähnt, wenn auch nicht näher beschrieben. Alle diese Verdienste um seine Person würdigt Kerkeling mit großer Dankbarkeit und viel Respekt. Mir hat es einmal mehr klargemacht, wie sehr manche Menschen unser Leben beeinflussen.

Bei Kerkeling sind es die Frauen, die seinen Lebensweg auf die eine oder andere Weise entscheidend begleiten, sei es mit unerschütterlicher Stärke und großem Lebensmut, sei es  mit genau dem Fehlen dieser Kraft und dem Schrecklichen, was daraus resultiert. (Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten, es mag den einen oder anderen geben, der den Inhalt nicht so genau kennt). Die Männer bleiben blass im Hintergrund, die beiden Omas kommen ganz groß raus.

Mit „Ich bin dann mal weg“ hatte Kerkeling seinerzeit einen Nerv unserer Gesellschaft getroffen, indem er die Sehnsucht nach einem (zeitweisen) Ausstieg, den Wunsch nach Einssein mit der Natur und dem Ausloten der persönlichen Grenzen thematisierte. Im vorliegenden Buch lernen wir, dass er schon als Junge einmal die überaus wohltuende Wirkung eines Wanderurlaubs erfahren hat; insgesamt zeigt die Geschichte, wie unglaublich vorgezeichnet vor allem seine spätere berufliche Laufbahn schon in frühen Jahren war, wie sie im Grunde genommen zwangsläufig aus dem Erlebten resultierte. Das ist das eigentlich Interessante an diesem Buch, und dafür lohnt es sich auch, es zu lesen.