„Die Welt von Gestern, Erinnerungen eines Europäers“, von Stefan Zweig

Es ist ein tolles Werk, um in die Welt vor mehr als hundert Jahren einzutauchen und das damalige Zeitkolorit ein wenig besser zu verstehen. Aber es gibt auch Dinge, die mich stören …

Zweig, der zu Lebzeiten zu den meistgelesenen Autoren gehörte, widmet 51np4yflanl-_sx315_bo1204203200_sich einem Europa im Umbruch und in Zeiten zweier Weltkriege – den Jahren zwischen 1880 und 1940. Er berichtet über seine Kindheit und Jugend im beschaulichen Österreich, seine Entwicklung zum gefeierten Schriftsteller, den Wechsel von der Monarchie zur totalitären Schreckensherrschaft und seine Jahre im Exil. An seinem Beispiel wird deutlich, wie sehr die Intellektuellen und Künstler jener Zeit unter den neuen Machthabern zu leiden hatten. Sein Scheinwerfer richtet sich stark auf diesen Aspekt, immer wieder betont er, wie unpolitisch er ist.

Das liest sich alles spannend, und man erfährt staunend, mit welchen Künstlergrößen der damaligen Zeit Zweig Kontakt hatte, mit vielen war er gut befreundet. Sigmund Freud, Rainer Maria Rilke, Max Reger, Auguste Rodin, Richard Strauß – um nur einige zu nennen. Besonders seine Begegnungen mit dem scheuen Ästheten Rilke und die Szene in Rodins Bildhauer-Atelier haben mich sehr berührt.

Aber: Da sind zum Beispiel die Bandwurmsätze, in denen es vor Namen nur so wimmelt. Dann die fehlende Erwähnung seiner beiden Ehefrauen – er wird alles Private bewusst ausgespart haben, aber an den wenigen Stellen, wo er ein „Wir“ überhaupt erwähnt, wüsste man doch gern, wer „Wir“ ist. Und eine gewisse Selbstgefälligkeit des Autors lässt sich nicht leugnen. Seitenlang analysiert er die Gründe für seinen außerordentlichen Erfolg. „Neun Zehntel aller Bücher finde ich mit überflüssigen Schilderungen, geschwätzigen Dialogen und unnötigen Nebenfiguren zu sehr ins Breite gedehnt.“ Es folgt eine ausführliche Beschreibung der Art und Weise, wie er das „mitreißende Tempo“ in seinen Büchern erreicht. Das ist lehrreich und lohnend, aber ich finde nicht, dass er das in dem vorliegenden Buch beherzigt hat. Seine Sprache ist (aus heutiger Sicht) oft schwülstig, und es gibt Passagen, die ich mühsam fand zu lesen, die ich zu ausschweifend fand. Ich werde auf jeden Fall noch mal seine Romane und Erzählungen lesen und sie auf den Aspekt„mitreißendes Tempo“ hin kritisch prüfen 😉

Dennoch: Ein sehr lohnenswertes Buch!