Die Mittagsstunde ist den Dorfbewohnern in kleinen Brunkebüll im Norden Deutschlands heilig. Da wird geruht, im Bett, auf der Eckbank oder im Sessel. Zumindest so lange die Welt noch in Ordnung ist auf dem Land – vor der großen Flurbereinigung, und bevor die Städter kommen und mit ihnen endgültig moderne Zeiten Einzug halten. Auch für heimliche Besuche ist die Mittagstunde gut.
Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen; es beschreibt in der Vergangenheit die Sechziger und Siebziger Jahre, die Jugendjahre des Protagonisten Ingwer Feddersen auf dem Dorf. In der Gegenwart kehrt Ingwer, de Jung, vorübergehend zurück, um seine alten Eltern, Mudder und Vadder, zu unterstützen. Die besitzen einen Gasthof, der schwer in die Jahre gekommen ist. „Man musste kein Schöngeist sein, um im Brinkebüller Gasthof auf den Hund zu kommen. Es reichte schon, wenn man eine Zeitlang etwas anderes gesehen hatte, (…) irgendeine Art von menschgemachter Schönheit. Er fühlte sich der Hässlichkeit des Brinkebüller Saals nicht mehr gewachsen.“
Aber zu Beginn der Erzählung ist die Gastwirtschaft natürlich noch die zentrale Anlaufstelle für die Dorfbewohner und ihre vielfältigen Feste, denen sich keiner entziehen kann: Taufen, grüne, silberne und goldene Hochzeiten, runde Geburtstage und Trauerfeiern. Und die Kneipe ist Bühne für die Brinkebüll Buffalos, eine Line Dance Gruppe, deren Aussehen und Auftritte mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben sind und für großes Lesevergnügen gesorgt haben. Doch nach und nach verändert sich die bäuerliche Welt. Und vor den Augen des Lesers entblättert sich so manches Geheimnis.
Skurrile Charaktere tummeln sich in der Geschichte, von ein bisschen schräg bis ziemlich verrückt. Mit trockenem Humor, sprachlicher Schärfe und großer Wärme beschreibt Hansen ihr Personal. Selbst der Dorflehrer Steensen mit seinen „großen Schuhen, die wie angebrannte Brote aussahen“und der sagt, ohne Schläge geht es nicht bei den Kindern, wächst einem im Laufe der Geschichte ans Herz! Geradezu wehmütig machen einen manche Beschreibungen des einfachen Lebens, wecken Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, die aber natürlich genauso ihre Fallstricke hat wie die heutige. Hansen würzt das alles mit immer wieder eingestreutem Plattdeutsch, das dem Ganzen Lokalcolorit und Menschlichkeit verleiht (und immer gut zu verstehen ist). Es ist ein großes Lesevergnügen.
Seinerzeit hatte mich das erste Buch von Dörte Hansen „Altes Land“, mit dem sie sich sofort in die Bestsellerlisten geschrieben hat, gar nicht so begeistert. Die Verfilmung fand ich allerdings sehr gelungen. Nachdem mich nun der Sprachstil Hansens so gefangen genommen hat, werde ich auf jeden Fall noch einmal „Altes Land“ lesen. Anscheinend bin ich jetzt erst „reif“ für diese Art des Erzählens 😉
… der Film in der plattdeutschen Version ist auch lohnenswert (wie das Buch). Das Plattdeutsche im Film dürfte auch für Menschen aus Süddeutschland verständlich sein ;-).