Hallux Op – 6 Monate danach

„Wie geht’s?“ Diese einfache Frage hat inzwischen für mich eine ganz andere Bedeutung bekommen. Den hohen Stellenwert von Mobilität kenne ich jetzt zur Genüge. An alle Hallux-Mitstreiter: Unterschätzt diese OP nicht! Das gesamte Fuß-Gefüge verändert sich und es ist ein weiter Weg zurück zum normalen Gehen. Ich habe aber viel gelernt, nicht nur über meine Füße, die ich inzwischen deutlich liebevoller betrachte und behandle.

Mein wichtigstes Fazit nach diesen sechs Monaten: Es klafft eine sehr unerfreuliche Lücke zwischen Krankenhaus (OP) und den nachfolgenden Behandlern (Physiotherapie, Spiraldynamik). Ganzheitliche Betrachtung: Fehlanzeige! Nicht nur dass man beim Krankenhaus um Rezepte betteln muss, es fehlen wichtige Hinweise, es gibt widersprüchliche Aussagen – fast alle Tipps habe ich entweder bei den Therapeuten oder durch eigene Recherche erhalten. Ohne ständiges Mitdenken, Ohren aufhalten und ohne sehr sehr fleißiges, tägliches Üben geht gar nichts!

Ich kann inzwischen wieder annähernd normal gehen, ein großartiges Gefühl. Aber der Zeh tut immer weh, es ist eine Mischung aus taub und schmerzhaft. Die Behandler sagen, es dauert bis zu einem Jahr, bis alles wieder richtig gut ist. Wenn es denn gut wird … In meinem Fall könnte eine erneute OP drohen, weil der Zeh immer noch zu hoch steht, die Sehne verkürzt ist. Ich halte mich an den Spruch: „Everything will be okay in the end, if it’s not okay, it’s not the end!“

Weitere Infos und Tipps gebe ich gerne an Interessierte weiter. 

Charlotte Link, Sechs Jahre. Der Abschied von meiner Schwester

Ein Buch, das es in sich hat, das natürlich traurig stimmt, aber auch nachdenklich und wütend. Es geht um das Sterben von Charlotte Links jüngerer Schwester Franziska, das sich über sechs Jahre hinzieht. Immerhin lebt Franziska noch sechs Jahre nach Erhalt der niederschmetternden Diagnose, die ihr den Tod noch im selben Jahr und ein grauenvolles Sterben in Aussicht stellt. Sechs Jahre, das ist durchaus viel in Anbetracht dieser Nachricht, doch was sind sechs Jahre für eine Mutter, die ihre Kinder gerne aufwachsen sehen möchte, fragt Link zu Recht. Manche Passagen sind kaum auszuhalten. Link beschreibt nicht nur die unterschiedlichen Stadien und die drei verschiedenen Krankheitsherde ihrer Schwester (einer schlimmer als der andere), sie beschreibt auch sehr eindringlich, was die Krankheit ihrer Schwester für sie selber und für die anderen Angehörigen bedeutet. Die permanente Angst einen nahestehenden Menschen zu verlieren, ruft bei der Autorin selber teilweise krasse körperliche Symptome hervor. Das liest sich erst etwas befremdlich, doch nachdem man verstanden hat, wie symbiotisch die Beziehung zwischen den Schwestern seit frühester Kindheit gewesen ist, kann man es gut nachvollziehen. 

Natürlich geht es auch viel um das deutsche Gesundheitssystem, in dem vieles im Argen liegt. Patienten mit mehr als einem Symptom haben es im deutschen Klinikalltag unglaublich schwer, weil jedes Problem für sich alleine betrachtet wird und es zu wenig Ärzte gibt, die den Menschen als Ganzes sehen. Es ist unglaublich, wie viele Fehldiagnosen Links Schwester im Verlaufe der sechs Jahre erhält und erschütternd, mit welcher Gefühllosigkeit „Todesurteile“ manchmal ausgesprochen werden. Das betont die Autorin immer wieder, dass sie daran zweifelt, dass tödliche Diagnosen einem auf besonders ehrliche und brutale Weise um die Ohren gehauen werden müssen. Auch wenn die Statistik das schlechte Ende nahelegt!

Link beschreibt, wie die Familie sich anfangs völlig dem Urteil der Ärzte und den Statistiken ausgeliefert fühlt, bis sie es langsam schaffen, sich davon zu emanzipieren. Aber natürlich, das betont sie, treffen sie auch auf wunderbare Ärzte und Pfleger, die voller Empathie den Menschen hinter dem Patienten sehen. Und es tut gut, dass Franziskas letzte Station eine mit positiven Erfahrungen ist.

Das Buch enthält eine ganze Menge hilfreicher Anregungen. So fertigt Link für die im Laufe der Zeit unglaublich umfangreiche Krankenakte ihrer Schwester eine Kurzfassung in Stichpunkten und Jahreszahlen an, damit jeder behandelnde Arzt sich schnell einen Überblick verschaffen kann. Eine super Idee – doch was nützt sie, wenn der Arzt die Akte noch nicht einmal aufschlägt! Und prompt eine Fehldiagnose stellt. Link macht immer wieder Mut sich zu wehren, hartnäckig nachzufragen und auf dem Besten für den Patienten zu bestehen. Und sie ermuntert, sich Unterstützung zu holen. Sie selbst hat eine sehr positive Begegnung mit einem Pfarrer, ihre Schwester profitiert lange von einem Mental-Coach. Und immer wieder betont Link, wie wichtig das Thema Hoffnung ist. Ohne Hoffnung ist der Patient verloren. Da ist sie dann wieder bei dem Thema Umgang und Kommunikation mit dem Patienten – WIE Botschaften übermittelt werden, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Empathie ist das Gebot der Stunde.

„Freu dich doch einfach, dass du atmen kannst“, sagt Franziska an einer Stelle zu ihrer Schwester, als die maulend vor ihrem Kleiderschrank steht und klagt, dass sie nichts zum Anziehen hat. „Du hast es gut. Du darfst leben.“ Das relativiert alle anderen Probleme, mit deren Bewertung wir Gesunden uns so manches Mal das Leben schwer machen …

Hanns-Josef Ortheil, Die Berlinreise

Ich bin Ortheil-Fan und so freute ich mich riesig, als ich kürzlich ein ganz besonderes Werk von ihm entdeckte – ein Reisetagebuch des zwölfjährigen Schriftstellers – voll von klugen Gedanken und frühreifen Lebensweisheiten. „Ich möchte nicht fleißig sein“ erklärt er uns zum Beispiel in wohlgesetzten Worten und mit ausführlicher Begründung. 1964 hat der junge Ortheil eine in jeder Hinsicht beeindruckende Berlin-Reise mit seinem Vater gemacht. Berlin hatte im Leben der Eltern des Jungen viele Jahre eine besondere Rolle gespielt, über die der zwölfjährige Hanns-Josef aber so gut wie nichts wusste. Ebenso kannte er die näheren Umstände der Todesfälle seiner vier älteren Brüder nicht. Er wusste nur, dass seine Eltern vor seiner Geburt vier Söhne verloren hatten. 

Nun also die Spurensuche in Berlin, gemeinsam mit dem Vater – für die Mutter wäre die Reise zu schmerzhaft gewesen – sie ist für den Jungen aber stets präsent. Ununterbrochen macht sich der Zwölfjährige, der später so berühmte Schriftsteller, Notizen und Aufzeichnungen, die er im Nachhinein zu einer Art Reisetagebuch ausarbeitet und seinem Vater widmet. Der Vater nimmt im Laufe der Jahre ein paar kleinere stilistische und orthographische Korrekturen am Text vor, im Großen und Ganzen ist die vorliegende Fassung aber unverändert. „Der kindliche Ton der Darstellung sollte vielmehr mit all seinen Eigentümlichkeiten, Fehlern und Kuriosa erhalten bleiben“, schreibt Ortheil im Vorwort.

Und genau das macht das Buch so besonders. Es sind die unverfälschten Eindrücke eines (begabten) Zwölfjährigen. Der junge Ortheil beschreibt seine Eindrücke vom geteilten Nachkriegs-Berlin: „Alles sah sehr anders aus als im Westen und ein wenig so wie in Zeitlupe oder wie in einem Traum ohne Farben. (…) es war gebremst, stark gebremst, ohne Schwung und ohne richtige Lust“. Und an anderer Stelle: „Wer oder was hat Berlin so verkorkst?“ Gemeinsam bewegen sich Vater und Sohn auf den Spuren der elterlichen Vergangenheit und machen so eine Zeitreise in den Zweiten Weltkrieg, erleben aber auch hautnah die Auswirkungen des Kalten Krieges. Die große schriftstellerische Begabung Ortheils ist schon zu diesem frühen Zeitpunkt bestens erkennbar. Aber er hätte auch Pianist werden können, das deutet sich an, als er sich im Restaurant der Kongresshalle unverrichteter Dinge an den Flügel setzt und ein Stück von Bach spielt. „Ich fetzte es richtig herunter, obwohl ein Blüthner-Flügel eigentlich zu langsam, weich und behäbig ist, um richtig darauf zu fetzen.“

Die besondere Vater-Sohn-Beziehung, die innige Nähe zwischen den beiden, ist ebenso berührend, wie der Versuch des Jungen, eine Verbindung zum früheren Leben der Eltern herzustellen. Langfristig bedeutet das für Ortheil den ständigen Versuch, den „Berlin-Schrecken“ zu verlieren. Die Geschichte dazu geht einem nahe und sie ist unterhaltsam, aufschlussreich und sehr lesenswert.

Astrid Lindgren Louise Hartung, Ich habe auch gelebt! Briefe einer Freundschaft

Briefwechsel sind wunderbare Dokumente – sie bringen einem die Schreibenden nahe und gleichzeitig lassen sie einen unmittelbar am Zeitgeschehen teilhaben. Die berühmte Astrid Lindgren und die ebenso beeindruckende Louise Hartung wechseln zwischen 1953 und 1965 eine Fülle hochinteressanter Briefe. Die beiden lernen sich auf einer von Hartung für Lindgren organisierten Lesereise in Deutschland kennen. Hartung ist begeistert von Pippi Langstrumpf und tut alles dafür, Lindgren in Deutschland bekannt zu machen. 

Mit jedem Brief sind wir abwechselnd in Stockholm und in Berlin – gerade dort ist das natürlich eine äußerst bewegte Zeit: Wiederaufbau, Kennedy-Besuch und -Attentat, Mauerbau. Lindgrens Leben wird neben dem Schreiben stark durch die Familie bestimmt: Kinder, Enkel, alte Eltern. Der Briefwechsel zeigt, wie zerrissen Lindgren teilweise war „ich kann nichts dafür, dass mein Leben in viele viele kleine Stücke zerlegt ist, von denen viele verschiedene Menschen ihr Teil beanspruchen.“ Anfangs leidet man als Leser unter dem Ungleichgewicht der Beziehung: Lindgren will Freundschaft, Hartung will Liebe. Hartung ist alleinstehend, Lindgren hat ihre ständig wachsende Familie, von Hartung als „dein Klan und dein Klüngel“ bezeichnet. Sie klagt, dass sie sich ans Ende einer bestehenden Schlange „einer Boa Constrictor“ anstellen muss und nicht wichtig genug für Lindgren ist. „Der Berliner nennt das am steifen Arm zum Fenster heraushalten.“ Lindgren fühlt sich bedrängt und verteidigt sich …

Im Laufe der Jahre rücken die Frauen aber doch deutlich näher zusammen und machen gemeinsame Reisen. Beim Lesen freut man sich über jedes persönliche Aufeinandertreffen der Freundinnen. Beide schreiben klug und tiefschürfend, mit großem Wissen, aber auch witzig und locker. Über die großen Themen tauschen sie sich ebenso aus wie über die kleinen Freuden und Widrigkeiten des Alltags. So erfährt man viel über das Leben der 50er Jahre in Deutschland und über das Leben der wichtigsten Kinderbuchautorin des 20. Jahrhunderts in Schweden; es ist eine tolle Korrespondenz zwischen zwei starken und beeindruckenden Frauen in einer sehr bewegten Zeit. Ich habe jedenfalls intensiv am Leben dieser beiden besonderen Frauen teilgenommen und war sehr traurig, als der Briefwechsel mit Hartungs Tod jäh endet. Es gibt viele Fußnoten, die auf interessante Anmerkungen im Anhang verweisen, ein echtes Zeitdokument, unbedingt empfehlenswert!

Im Laufe der Jahre rücken die Frauen aber doch deutlich näher zusammen und machen gemeinsame Reisen. Beim Lesen freut man sich über jedes persönliche Aufeinandertreffen der Freundinnen. Beide schreiben klug und tiefschürfend, mit großem Wissen, aber auch witzig und locker. Über die großen Themen tauschen sie sich ebenso aus wie über die kleinen Freuden und Widrigkeiten des Alltags. So erfährt man viel über das Leben der 50er Jahre in Deutschland und über das Leben der wichtigsten Kinderbuchautorin des 20. Jahrhunderts in Schweden; es ist eine tolle Korrespondenz zwischen zwei starken und beeindruckenden Frauen in einer sehr bewegten Zeit. Ich habe jedenfalls sehr intensiv am Leben dieser beiden besonderen Frauen teilgenommen und war sehr traurig, als der Briefwechsel mit Hartungs Tod jäh endet. Es gibt sehr viele Fußnoten, die auf interessante Anmerkungen im Anhang verweisen, ein echtes Zeitdokument, unbedingt empfehlenswert!

Launen der Zeit, Anne Tyler

Herzerwärmend mal wieder, diese Anne Tyler. Ich habe mir vor langer Zeit angewöhnt, beim Lesen schöne Formulierungen, kluge  und bedenkenswerte Sätze mit Post-its zu markieren – dieses Buch wimmelt nun nur so von Markierungen und Zettelchen. Bei Tyler geht es immer unaufgeregt zu. Willa Drake, die Hauptperson, hat keine besonders glückliche Kindheit, da ihre Mutter immer mal wieder kurzzeitig die Familie, ihren Mann und ihre beiden kleinen Töchter, verlässt. Willa heiratet ohne rechte Überzeugung ihren Jugendfreund Derek und als der sie zwanzig Jahre später zur Witwe macht, heiratet sie Peter. Beide Männer wirken nicht besonders sympathisch, und Willas Hauptproblem ist schnell klar – sie lässt sich treiben, sie lässt andere über sich bestimmen, sie lebt nicht ihr eigenes Leben. 

Die Haupthandlung setzt ein, als Willa einen Anruf aus dem weit entfernten Baltimore  bekommt. Die Ex-Freundin ihres Sohnes wurde angeschossen und eine Nachbarin bittet händeringend um Hilfe – die elfjährige Tochter muss betreut werden. Willa zögert nicht und setzt sich ins Flugzeug, begleitet von ihrem eher unwilligen Mann. Vor Ort blüht Willa auf, sie fühlt sich endlich einmal gebraucht. Alle auftretenden Figuren sind kauzige Typen, mit teilweise skurrilen Eigenarten, alle liebevoll und lebensnah gezeichnet; gemeinsam mit Willa schließt man sie schnell ins Herz. 

Am meisten bewundere ich Tylers Kunst, mit ganz einfachen Sätzen Gedanken und Gefühlsregungen darzustellen oder die Handlung voranzutreiben. Sie schafft es wie keine zweite, mit eingestreuten Bemerkungen dem Leser deutlich klarzumachen, wie der Mensch tickt und was für Charaktereigenschaften er hat, ohne dass sie sie explizit beim Namen nennt. Das ist hohe Kunst, damit gelingt ihr perfekt, was alle Schreibratgeber propagieren: Show, don’t tell. Die ganze Geschichte ist unspektakulär (man ahnt früh, wie es ausgeht), aber mit so viel Wärme und Herz geschrieben, dass ich einfach immerzu hätte weiterlesen können. 

Deutsches Haus, Annette Hess

Dies ist kein schönes Buch. Es ist stellenweise schwer auszuhalten. Ich habe mir das Buch gewünscht, weil die Autorin für die von mir sehr geschätzten Fernsehserien Weißensee und Ku’damm die Drehbücher geschrieben hat. Vor allem die Serien Ku’damm 56 und 59 sind vorrangig nette Unterhaltung. So war ich erst schockiert, weil ich etwas anderes erwartet hatte. Ich wusste nur, es geht auch in diesem Buch um deutsche Geschichte. Es geht um DEN Teil deutscher Geschichte – den Teil, der so unfassbar schrecklich ist, dass es fast unmöglich ist, Worte dafür zu finden. 

So fühlt sich auch die Protagonistin Eva, die im Auschwitzprozess 1963 die Zeugenaussagen übersetzen muss. Sie ahnt nicht, wie dramatisch sich auch ihr eigenes Leben durch die Teilnahme an diesem Prozess verändern wird. Auch ihre Beziehungen zu den Menschen, die ihr etwas bedeuten, stehen auf dem Prüfstand. Da ist Jürgen, von dem sie sich so sehr den Heiratsantrag wünscht. Jürgen ist extrem verklemmt und lange uneindeutig in Bezug auf Eva. Er weiß nur, dass sie sich von ihm führen lassen soll. Es ist immer wieder erschreckend über die Rolle der Frau in den 60er Jahren zu lesen. Ganz selbstverständlich bestimmt der Mann, sogar der Verlobte!, über die Berufstätigkeit der Frau und was ihr zusteht und was nicht. (Erst 1977 benötigen Frauen in Deutschland offiziell nicht mehr das Einverständnis ihres Mannes, wenn sie arbeiten wollen, das musste ich mir mal wieder klarmachen!) Evas Beziehung zu Jürgen ist aber nicht nur aus diesen Gründen für mich schwer nachvollziehbar. Auch mit der Rolle von Evas Schwester habe ich mich schwergetan – es wäre schön, sich hierüber mit anderen Lesern auszutauschen! Am dramatischsten ist Evas Beziehung zu ihren Eltern, die sich merkwürdig verschlossen und ablehnend zeigen, als Eva diesen beruflichen Auftrag annimmt. Langfristig stürzt Eva das in ein emotionales Chaos.

Das gigantische Ausmaß der Verdrängung in der Nachkriegszeit wird in diesem Buch sehr eindringlich dargestellt. Die Themen sind also nicht schön, aber sie sind überaus wichtig und bedeutend, und das Buch ist unbedingt  lesenswert. Ganz zum Schluss, im vorletzten Absatz, gibt es einen sehr schönen Satz. Den verrate ich hier natürlich nicht …

Zeitenwende, Carmen Korn

Wehmütiger Abschied von guten alten Bekannten, wenn nicht Freunden – so fühlt es sich an, nachdem ich den dritten und letzten Band von Carmen Korns Trilogie beendet habe. Im dritten Band sind mir die drei bzw. vier Freundinnen mitsamt ihren untereinander befreundeten Familien doch sehr ans Herz gewachsen. Das Buch beginnt im Jahre 1970, die Freundinnen gehen auf die Siebzig zu und kämpfen mit den Tücken des Alters. Gleichzeitig wächst die neue Generation heran und liebt und leidet sich durchs Leben. Die Geschichte endet am letzten Tag des Jahrhunderts, da lebt nur noch eine der Frauen … Dazwischen gibt es fröhliche Partys, freudige Ereignisse, tiefe Freundschaften, Krankheiten, Krisen und neue Konstellationen.

Sehr geschickt flicht Carmen Korn in den ersten Kapiteln Begebenheiten aus den Büchern davor ein, so dass man ganz schnell wieder „drin“ ist. Gleichzeitig gibt sie immer wieder Ausblicke auf die Themen, die einen in diesem Band erwarten.

Man merkt, dass die Autorin Journalistin ist, sie schreibt in einem teils sehr verknappten Stil. Mit trockenem und liebevollem Humor charakterisiert sie ihre Protagonisten. Als Florentine ihre Mutter bittet, bei Eis und Schnee die Lackpumps mit den Fellstiefeln zu tauschen, sagt die 91-jährige Ida: „Die Stiefel machen aber keinen schlanken Fuß.“

Manchmal werden die drei Bände Jahrhundert Trilogie genannt. Wenn man gerade „Das achte Leben“ gelesen hat, berührt einen das etwas merkwürdig. Dies ist nette Unterhaltung mit geschichtlichem und gesellschaftspolitischem Beiwerk. Auch Carmen Korn verknüpft sehr geschickt persönliche Schicksale mit dem Zeitgeschehen. Und was ich sehr schätze: Man spaziert in Gedanken immer mit durch die Hamburger Straßen, um die Alster herum und an der Elbe entlang. Fazit: Alle drei Bände lesen sich wunderbar, es ist Wohlfühl-Literatur. 

„Das achte Leben“, von Nino Haratischwili

Was für ein Werk! Phänomenal, phantastisch, ganz besonders! Es übt einen unwiderstehlichen Sog aus. Je weiter man vordringt, desto intensiver, desto spannender, desto unglaublicher, desto erschütternder wird es. Erzählt wird die Geschichte der georgischen Familie Jaschi über sechs Generationen. „Das achte Leben“ ist aber noch viel mehr als eine Familiengeschichte – es ist ein großer historischer Roman, denn die Geschichte dieser Familie ist auch die Geschichte des europäischen Jahrhunderts, vornehmlich Georgiens und des Ostblocks. Die Zeitbezüge machen es also zusätzlich informativ und spannend. Acht Leben werden ausgebreitet. Acht Leben, die eingebettet werden in das Gesamtwerk wie die Fäden in einen Teppich, jedes hat es wirklich in sich, jedes einzelne ist durch bewegende Ereignisse geprägt. Jede Figur ist mit allergrößter Sorgfalt und Intensität gestaltet, es sind alles ganz besondere Persönlichkeiten mit teilweise abstrusen Gewohnheiten und Charakterzügen. Die Zahl Acht im Titel weist darauf hin, dass alle Ereignisse miteinander verbunden sind. Derer gibt es auf 1300 Seiten nicht gerade wenige … Aber immer wieder streut die Erzählerin ihre Betrachtungen über die Zusammenhänge ein, so dass man als Leser die Orientierung behält. Zigmal habe ich aber auch den in der hinteren Klappe abgebildeten, äußerst hilfreichen Stammbaum der Familie Jaschi nachgeschlagen und mir die Verwandtschaftsverhältnisse vor Augen geführt. 

Das Buch ist süffig geschrieben, immer wieder baut die Autorin Cliffhanger ein. So kostet zum Beispiel immer wieder ein Familienmitglied von dem unglaublichen, nach einem Geheimrezept zubereiteten heißen Schokoladen-Trunk, und jedes Mal fragt man sich, ist es wirklich wahr, liegt tatsächlich ein Fluch auf der Schokolade?

Manchmal ist es mir im Ablauf der irren Ereignisse ein Zufall zu viel oder ein bisschen zu dick aufgetragen, aber es vermag den Gesamteindruck nicht zu trüben. Empfohlen wurde es mir vor geraumer Zeit, aber bisher hatten mich die knapp 1300 Seiten zögern lassen. Nun habe ich es geschenkt bekommen und verschlungen. Das Ende ist einfach wunderbar – alles fügt sich zusammen, und es gelingt der Autorin mit einem Kunstgriff, den Leser weiterdenken zu lassen, sie ermuntert ihn, die Geschichte im Kopf weiterzuschreiben, weiter am Teppich zu weben. Zeit nehmen und eintauchen!

Praktische Tipps für Hallux OP

Ich bin vor kurzem am Hallux operiert worden, und da ich inzwischen weiß, wie viele Frauen bzw. Menschen mit dem Hallux Probleme haben und sich fragen, ob sie sich operieren lassen sollen, habe ich ein paar wichtige Erkenntnisse und (hoffentlich) wertvolle Tipps aufgeschrieben.

Phase 1, Rund um die OP (mein Befund: mittelschwer, OP nach Chevron). Da man nach der OP in der Regel für mehrere Wochen sehr immobil ist, sollte man seeehr gründlich vorbereitet sein und ein paar  Wochen voraus denken: Termine und Erledigungen aller Art vorziehen, ausreichend Lesestoff besorgen, Lebensmittel einlagern, vorkochen und einfrieren. Unbedingt Hilfe organisieren für die ersten beiden Wochen. Schon vor der OP Termine für Physiotherapie und/oder Lymphdrainage vereinbaren, da man auf diese Termine sehr lange warten muss.

Vor und nach der OP drei Tage lang Arnica C 30 nehmen, das hilft bei der Wundheilung. Wer Magenprobleme hat und das übliche Schmerzmittel Ibuprofen nicht gut verträgt: Man kann sich auch Novalgin geben lassen. Das hilft allerdings nur gegen die Schmerzen, während Ibu gegen Schmerzen und Entzündung eingesetzt wird. Die bei Einnahme von Ibu empfohlenen, aber nicht unumstrittenen Säureblocker,  kann man ggfls. auch mit Heilerde ersetzen.

Mitnehmen ins Krankenhaus: Eine bequeme, am Fuß weite Hose, ein kleines Handtuch, zu essen und zu trinken, Lesestoff und den verordneten Entlastungsschuh, evtl. auch Krücken. Unbedingt für den anderen Fuß einen Ausgleichsschuh im Sanitätshaus besorgen! Kein Arzt hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass es diesen Ausgleichsschuh gibt, und die Kasse zahlt die 38,50 Euro nicht, aber dies ist der wichtigste Tipp überhaupt! Der Entlastungsschuh für den operierten Fuß hat nämlich eine sehr dicke Sohle, so dass man ohne den Ausgleichsschuh einen heftigen Schiefstand hätte. Die Investition lohnt sich! Vor der (ambulanten) OP zuhause neben dem Sessel oder der Couch  alles deponieren, was man hinterher gerne in der Nähe haben möchte – Schreibkram, Bücher, Zeitschriften, Getränke, Taschentücher, Telefon, Kalender, Fernbedienung – damit man nicht ständig um irgendetwas bitten muss. Direkt nach der OP soll und will  😉  man sich am besten überhaupt nicht bewegen.

Tja, und dann strikt den Anweisungen folgen: Möglichst wenig gehen, wenn, dann ausschließlich mit Entlastungsschuh, hochlegen, täglich ca. 5 x für 20 Minuten kühlen mit kleinen weichen Kühlpads, die man in ein Handtuch wickelt. Oder mit Tiefkühlerbsen. Nach dem Fäden ziehen den Fuß mit Narbensalbe eincremen; es ist nicht wissenschaftlich erwiesen, dass das hilft, aber auf jeden Fall ist es sehr angenehm, es macht den Fuß geschmeidiger. Ein Duschhocker erleichtert das Duschen (Duschen ist erst nach dem Fäden ziehen erlaubt).

Viel sitzen und liegen klingt erst mal sehr gemütlich, hat es aber durchaus in sich. Ich habe mir ein Schaffell für den schmerzenden Hintern besorgt und immer wieder diese Übung gemacht: Pobacken mit gedachter Münze dazwischen anspannen. Generell ist Gymnastik sinnvoll, für den Kreislauf und damit nicht alles aus dem Lot gerät. Alles, was den Fuß nicht belastet, ist erlaubt: Fahrrad fahren in der Luft, Bauchmuskelübungen, Rücken mobilisieren etc. Und die Zehen sollen auch selbsttätig bewegt werden. Zu diesen Themen unbedingt den Arzt löchern! Ganz wichtig: viel Zeit einplanen – es dauert alles viel länger als sonst – waschen, duschen, anziehen, die Wege zwischen Bett, Bad und Sessel.

Und: Auf Rückschläge gefasst sein! Bei mir lief alles super, aber in der dritten Woche schwoll mein Fuß auf einmal sehr an und schmerzte. Schwellungen sind normal, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr damit gerechnet und war irritiert. Umschläge mit Retterspitz sind gut. Geholfen hat mir eine Aussage, die ich auf einem sehr guten Blog gefunden habe: „Der Zeh nimmt es übel, dass er nun eine neue Richtung einschlagen soll.“ (draufgaengerin.de.  https://www.draufgaengerin.de/weil-kein-schuh-mehr-passt-hallux-valgus-operation/#more-3992). Man sollte es sich so nett wie möglich machen – ein spannendes Buch und eine fesselnde TV-Serie helfen ungemein. Und sich drauf einlassen, mal aus dem Hamsterrad auszusteigen und die Ruhe anzunehmen. Auch wenn es eine erzwungene Ruhe mit einigen unangenehmen Begleiterscheinungen ist …

In einer Woche beginnt die nächste Phase, dann sind vier Wochen rum, es wird geröntgt und entschieden, ob ich den Entlastungsschuh noch weiter tragen muss und ob ich dann etwas weitere Kreise ziehen darf beim Humpeln. Dann startet auch die Physiotherapie. Sollten sich noch wichtige Erkenntnisse ergeben, werde ich berichten. Wer Fragen hat an mich – nur zu!

„Menschenkind“, von Toni Morrison

Was für ein Buch! Genauso sehr wie der Inhalt beschäftigen mich viele Fragen: Hätte ich dieses Buch auch gelesen, wenn Toni Morrison nicht den Pulitzer-Preis dafür bekommen hätte, wenn es nicht von einer Nobelpreisträgerin geschrieben worden wäre? Warum habe ich mich so schwer damit getan – zumindest phasenweise? Will ich mich nicht mehr anstrengen? Bin ich zu ungeduldig? Liegt es am Mystischen?

Die Geschichte erzählt von der ehemaligen Sklavin Sethe, die sich, hochschwanger, aus der Gefangenschaft befreien kann, und mit ihren drei bzw. vier Kindern bei ihrer Schwiegermutter unterkommt. Als die Geschichte einsetzt, lebt sie nur noch mit einem Kind zusammen. Ihre beiden halbwüchsigen Söhne sind auf und davon, ihre kleine Tochter lebt nicht mehr. Ihren Tod kann Sethe nicht verwinden. Der Geist des kleinen Mädchens spukt in ihrem Haus.

Morrison entrollt langsam, in vielen Rückblenden, Sethes langen Leidensweg. Dabei beschreibt sie nicht nur die von den Sklaven tagtäglich erlittenen Grausamkeiten, sondern führt eindringlich vor Augen, wie sich der Verlust der Freiheit für diese Menschen anfühlt. Sie schreibt so, dass einem permanent Bilder vor Augen kommen (ich musste häufig an den Film „Die Farbe Lila“ denken), man hört die Geräusche und Gesänge, hat die Gerüche in der Nase. Morrison schreibt poetisch, zart und gleichsam schwingend auf der einen Seite, aber auch zupackend und mit unerbittlicher Härte und Genauigkeit auf der anderen. Gleichzeitig lässt sie vieles in der Schwebe und nicht alles Verwirrende löst sich auf. Im Netz gibt es den Tipp, das Buch zweimal zu lesen, um es besser zu verstehen – aber auch die Anmerkung, wer will so ein schwieriges Buch denn gleich zweimal hintereinander lesen …

Aber dennoch: Das Buch ist auf jeden Fall sehr sehr lesenswert, man sollte sich Zeit dafür nehmen! Und es ist ein Buch, das sich gut für einen Lesezirkel eignet, denn im Gespräch mit anderen durchdringt man die Geschichte bestimmt besser, und erfahrungsgemäß beschäftigen jeden Leser andere Aspekte.