Deutsches Haus, Annette Hess

Dies ist kein schönes Buch. Es ist stellenweise schwer auszuhalten. Ich habe mir das Buch gewünscht, weil die Autorin für die von mir sehr geschätzten Fernsehserien Weißensee und Ku’damm die Drehbücher geschrieben hat. Vor allem die Serien Ku’damm 56 und 59 sind vorrangig nette Unterhaltung. So war ich erst schockiert, weil ich etwas anderes erwartet hatte. Ich wusste nur, es geht auch in diesem Buch um deutsche Geschichte. Es geht um DEN Teil deutscher Geschichte – den Teil, der so unfassbar schrecklich ist, dass es fast unmöglich ist, Worte dafür zu finden. 

So fühlt sich auch die Protagonistin Eva, die im Auschwitzprozess 1963 die Zeugenaussagen übersetzen muss. Sie ahnt nicht, wie dramatisch sich auch ihr eigenes Leben durch die Teilnahme an diesem Prozess verändern wird. Auch ihre Beziehungen zu den Menschen, die ihr etwas bedeuten, stehen auf dem Prüfstand. Da ist Jürgen, von dem sie sich so sehr den Heiratsantrag wünscht. Jürgen ist extrem verklemmt und lange uneindeutig in Bezug auf Eva. Er weiß nur, dass sie sich von ihm führen lassen soll. Es ist immer wieder erschreckend über die Rolle der Frau in den 60er Jahren zu lesen. Ganz selbstverständlich bestimmt der Mann, sogar der Verlobte!, über die Berufstätigkeit der Frau und was ihr zusteht und was nicht. (Erst 1977 benötigen Frauen in Deutschland offiziell nicht mehr das Einverständnis ihres Mannes, wenn sie arbeiten wollen, das musste ich mir mal wieder klarmachen!) Evas Beziehung zu Jürgen ist aber nicht nur aus diesen Gründen für mich schwer nachvollziehbar. Auch mit der Rolle von Evas Schwester habe ich mich schwergetan – es wäre schön, sich hierüber mit anderen Lesern auszutauschen! Am dramatischsten ist Evas Beziehung zu ihren Eltern, die sich merkwürdig verschlossen und ablehnend zeigen, als Eva diesen beruflichen Auftrag annimmt. Langfristig stürzt Eva das in ein emotionales Chaos.

Das gigantische Ausmaß der Verdrängung in der Nachkriegszeit wird in diesem Buch sehr eindringlich dargestellt. Die Themen sind also nicht schön, aber sie sind überaus wichtig und bedeutend, und das Buch ist unbedingt  lesenswert. Ganz zum Schluss, im vorletzten Absatz, gibt es einen sehr schönen Satz. Den verrate ich hier natürlich nicht …

Zeitenwende, Carmen Korn

Wehmütiger Abschied von guten alten Bekannten, wenn nicht Freunden – so fühlt es sich an, nachdem ich den dritten und letzten Band von Carmen Korns Trilogie beendet habe. Im dritten Band sind mir die drei bzw. vier Freundinnen mitsamt ihren untereinander befreundeten Familien doch sehr ans Herz gewachsen. Das Buch beginnt im Jahre 1970, die Freundinnen gehen auf die Siebzig zu und kämpfen mit den Tücken des Alters. Gleichzeitig wächst die neue Generation heran und liebt und leidet sich durchs Leben. Die Geschichte endet am letzten Tag des Jahrhunderts, da lebt nur noch eine der Frauen … Dazwischen gibt es fröhliche Partys, freudige Ereignisse, tiefe Freundschaften, Krankheiten, Krisen und neue Konstellationen.

Sehr geschickt flicht Carmen Korn in den ersten Kapiteln Begebenheiten aus den Büchern davor ein, so dass man ganz schnell wieder „drin“ ist. Gleichzeitig gibt sie immer wieder Ausblicke auf die Themen, die einen in diesem Band erwarten.

Man merkt, dass die Autorin Journalistin ist, sie schreibt in einem teils sehr verknappten Stil. Mit trockenem und liebevollem Humor charakterisiert sie ihre Protagonisten. Als Florentine ihre Mutter bittet, bei Eis und Schnee die Lackpumps mit den Fellstiefeln zu tauschen, sagt die 91-jährige Ida: „Die Stiefel machen aber keinen schlanken Fuß.“

Manchmal werden die drei Bände Jahrhundert Trilogie genannt. Wenn man gerade „Das achte Leben“ gelesen hat, berührt einen das etwas merkwürdig. Dies ist nette Unterhaltung mit geschichtlichem und gesellschaftspolitischem Beiwerk. Auch Carmen Korn verknüpft sehr geschickt persönliche Schicksale mit dem Zeitgeschehen. Und was ich sehr schätze: Man spaziert in Gedanken immer mit durch die Hamburger Straßen, um die Alster herum und an der Elbe entlang. Fazit: Alle drei Bände lesen sich wunderbar, es ist Wohlfühl-Literatur.