Alte Sorten, Ewald Arenz

Was für ein wunderschönes Buch! Allein die Ausstattung! Das Foto gibt das nur unzureichend wieder: Mattes, weißes Leinen mit einem eierschalenfarbenen Spiegel, darauf eine geprägte, lackierte Zeichnung von einem kleinen Ast mit zwei Birnen. Mit orangefarbenem Vorsatzpapier – passend zum Orange der Birnen. Natürlich mit Lesebändchen. Und es ist nicht nur eine Freude, dieses Büchlein in die Hand zu nehmen, sondern auch es zu lesen, sich hineinfallen zu lassen. Es entschleunigt. Es lenkt den Blick auf das Wesentliche. Es zeigt, was Freundschaft bedeutet.

Die siebzehnjährige, magersüchtige Sally begegnet auf der Flucht aus der Klinik der fünfundvierzigjährigen Liss und kriecht bei ihr auf dem Hof unter. Liss lässt sie in Ruhe, nimmt sie so, wie sie ist. Das ist neu für Sally und das gefällt ihr zunehmend, ebenso wie die körperliche Arbeit auf den Feldern und im Garten. Die beiden Frauen verstehen sich ohne Worte. Es ist ein wunderbarer Umgang miteinander, der sehr feinfühlig beschrieben wird. Aber Sally ist abgehauen und es ist klar, dass es nicht ewig so weitergehen kann. Und dann gibt es da noch einige Rätsel um Liss …

Mit meisterhaft bildhafter Sprache wird das ruhig und gemächlich erzählt. Man ist auf den Feldern dabei und man schmeckt und riecht förmlich den Saft der Birnen, ist bei der anstrengenden Arbeit der Weinlese mittendrin. Alles geschieht mit großer Selbstverständlichkeit, es ist ein zurück zur Natur, zu Wurzeln, zu Wesentlichem und zu Wahrhaftigkeit. Ein Lesegenuß mit Tiefgang.

„Großer Bruder“, von Lionel Shriver

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Wieder ein gutes (aber nicht sehr gutes) Buch von Lionel Shriver, einer fantastischen Schriftstellerin mit provokanten Themen. Ihr bekanntester Titel „Wir müssen über Kevin reden“ ist genial. In „Großer Bruder“ geht es um das Thema Fettsucht, genauso aber auch um Magerwahn und Diätterror in all seinen Ausprägungen – also um unseren heutigen Umgang mit Ernährung. Aber es geht auch um die Frage, wie viel bin ich bereit zu opfern, um einem Familienmitglied zu helfen.

Die Ich-Erzählerin Pandora hat ihren großen, von ihr sehr verehrten Bruder Edison, lange nicht gesehen. Als er sich für einen Besuch bei ihrer Familie anmeldet und sie ihn am Flughafen abholt, erwischt es sie eiskalt: Er ist unfassbar in die Breite gegangen, wiegt über 150 kg! Diese Szene ist ganz großes Kino, ebenso das nachfolgende Zusammentreffen Edisons mit Pandoras Patchworkfamilie. Bald stellt sich heraus, dass das Übergewicht nicht Edisons einziges Problem ist, er hat jahrelang an seiner Lebenslüge des erfolgreichen Musikers gestrickt. Pandoras asketischer Ehemann Fletcher und Edison verhaken sich schnell und gründlich, auch ihr Stiefsohn ätzt gegen Edison, nur ihre Stieftochter sieht den Menschen in ihrem Onkel.

Shriver ist schonungslos ehrlich in ihren Beobachtungen und Darstellungen, das schätze ich so an ihr. Sie liebt überraschende Wendungen, das ist auch bei „Großer Bruder“ nicht anders. Dieses Mal hat sie mich aber nicht so überzeugt, weder mit der gesamten Geschichte noch mit dem Ende. Dennoch ist es ein lesenswertes Buch.

Ihr Bruder ist durch Fettleibigkeit zu Tode gekommen, das hat sie zu diesem Thema inspiriert. In einem Interview erklärt sie, wie viel Autobiografisches die Geschichte enthält. http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/neuer-roman-interview-mit-lionel-shriver-12870469.html