Der Roman zählt zu den Büchern, bei denen ich eine Weile gebraucht habe, um reinzukommen. Das ist vielleicht das Problem mit diesen Titeln, die in allen Zeitschriften gehypt werden und das Etikett Spiegel Bestseller tragen. Man erwartet, dass es gleich auf den ersten Seiten zündet, der Anfang ist aber eher zäh.
Nachdem ich mich eingelesen hatte, fand ich die Geschichte der beiden Schwestern großartig. Tilda, eine Mathematik-Studentin, kümmert sich seit Jahren um ihre kleine Schwester Ida und zieht sie im Grunde alleine groß. Die Mutter ist Alkoholikerin. Der Vater von Tilda hat sich vor geraumer Zeit aus dem Staub gemacht, den Vater von Ida hat es im Leben der Schwestern nie gegeben. Tilda träumt von einer Promotion in Berlin, doch sie fragt sich, ob sie sich diesen Traum erfüllen darf. Ob sie ihre kleine Schwester mit dem „Monster“, der oft entweder betrunkenen oder depressiven Mutter, allein lassen darf. Tilda schmeißt den Haushalt, organisiert den Alltag, sitzt an der Supermarktkasse und kümmert sich um die Belange und das Seelenleben ihrer kleinen Schwester. Als in Tildas Leben ein Mann, Viktor, auftaucht, wird alles noch viel komplizierter. Auch Viktor ist ein Gebeutelter.
Es liest sich sehr berührend, wie Tilda darum kämpft, ein halbwegs normales Leben zu führen. Sie sieht, wie Gleichaltrige von der Zukunft träumen und Großartiges vom Leben erwarten. Solche Gedanken verbietet sie sich. Sie muss sich kümmern. Aber der Gedanke an die Chance in Berlin taucht hartnäckig immer wieder auf. Und sie bekommt Viktor nicht aus ihren Gedanken.
Das ist sehr lebensnah und eindringlich beschrieben, teils mit rauen und unflätigen Wörtern, es passt aber zur Geschichte. Im Sprachstil gibt es eine Besonderheit. Bei der wörtlichen Rede steht der Name der sprechenden Person, gefolgt von einem Doppelpunkt und dahinter dem Redetext, ohne Anführungszeichen. Das ist ungewohnt, wirkt abgehackt, aber auch das passt zur Art des Erzählens. Es hat etwas Erfrischendes, Jugendliches. Tilda, Ida und Viktor wachsen einem schnell ans Herz. Also eine eindeutige Leseempfehlung. Es ist mal wieder ein Roman, über den ich gerne diskutieren würde, vor allem über das Ende.