Wo wir zu Hause sind. Die Geschichte meiner verschwundenen Familie, Maxim Leo

Eine jüdische Familie zerstreut sich auf der Flucht vor den Nazis in alle Winde. Jahre später macht sich ein Familienmitglied, der Autor, auf die Suche nach den Wurzeln seiner Familie und besucht seine Verwandten an ihren unterschiedlichen Wohnorten im Ausland.

Irmgard und Hans sind nach Israel ausgewandert und haben ihre Kinder in einem Kibbuz großgezogen. André ist mit seiner Mutter Hilde nach England geflohen. Ilse hat im Internierungslager ihre große Liebe Heinz kennengelernt und mit ihm bis zum Kriegsende im Untergrund gelebt. 

Der Autor springt kapitelweise zwischen den verschiedenen Schicksalen hin und her. Dabei kann ich gar nicht sagen, welche Geschichte mich am meisten berührt hat. Viel gelernt habe ich über das Leben im Kibbuz, ich habe die anfängliche Begeisterung verstanden, aber mich auch geschüttelt angesichts der Härten, die den Menschen dort auferlegt werden. Man kann gut nachvollziehen, wie es mit der Idee zunehmend bergab geht, denn es sind doch immer einige Menschen gleicher als die anderen.

Ich habe mit André gelitten, der seinen Vater vermisst und den seine Mutter Hilde in England immer wieder in Heime und Institutionen abschiebt, der aber doch seinen Weg macht. Und dessen Enkel heute vom erworbenen Reichtum seiner Mutter, ihrer Oma, profitieren. 

Ilses unglaubliche Zeiten im Internierungslager erschüttern. Aber sie lernt dort auch ihre große Liebe Heinz kennen und bekommt ein Kind. Ihre Tochter Susi hat allerdings nicht leicht an der Bürde zu tragen, im Lager geboren zu sein und für die Eltern Hoffnungsträgerin sein zu müssen.

Der Autor sagt als Fazit, dass er auf dieser Familienreise Illusionen verloren hat, vor allem die, der Bestimmer über sein Leben zu sein. „Wir denken immer, wir allein würden unsere Entscheidungen treffen, und dann versteht man plötzlich, dass man nur ein Glied in einer langen Kette ist.“ Mich hat dieses Buch angeregt, mich mit meinen Vorfahren zu beschäftigen. Sehr lesenswert!

Soweit die Störche ziehen, Theresia Graw

Nach einer Reihe von Büchern mit schwereren Themen wollte ich mal wieder einen Schmöker lesen, etwas Entspannendes. Historische Romane lese ich gerne, und für diesen hatte ich einen Tipp. Die Geschichte  fängt sehr idyllisch an. Dora, die junge Protagonistin, liebt 1939 das unbeschwerte Leben auf einem Gutshof in Ostpreußen; Gedanken macht sie sich höchstens darum, mit welchem Kleid sie ihren Schwarm Wilhelm am meisten beeindrucken kann. Ihre Figur ist mit Ecken und Kanten gezeichnet und erinnert ein wenig an Scarlett O’Hara. Die Protagonistin steht zwischen zwei Männern, das gehört natürlich zu solch einem Plot. 

Der Zweite Weltkrieg scheint in Ostpreußen zu der Zeit unendlich weit entfernt. Aber wir kennen den Lauf der Geschichte und wissen, dass die Idylle nicht von Dauer sein wird. Der ganze Wahnsinn des Kriegs mit all seinen Ausprägungen überrollt dann auch Dora und ihre Familie, und die junge Frau sieht sich unglaublichen Herausforderungen gegenüber. Die Figur der Dora hat die Autorin an ihre Mutter und an ihre Oma angelehnt, ebenso gibt es Übereinstimmungen mit deren Lebensgeschichten. 

Stimmungen sind wunderbar eingefangen – Landschaften, Jahreszeiten, Gerüche, das Leben auf einem Gutshof, die Flucht über die zugefrorene Ostsee, die Gräuel des Kriegs – man ist immer in der beschriebenen Situation dabei. Das Buch ist gut recherchiert, spannend und liest sich flüssig – die bedrückende Aktualität der Themen Krieg und Flucht muss man allerdings ausblenden für unbeschwerten Lesegenuss. 

Der heutige Tag, Helga Schubert

Vorab: Diese Frau ist wirklich bewundernswert, und als Autorin ist sie eine Entdeckung.

Dieses Buch mag oder kann man sicherlich nicht zu jeder Zeit lesen. Und vielleicht auch nicht in jedem Lebensalter? Man muss bereit sein, sich mit dem Tod, vielmehr mit dem Sterben, auseinanderzusetzen. Mit Krankheit und Siechtum. Es geht um Pflege mit all ihren brutalen Begleiterscheinungen. Aber auch um das Glück jahrzehntelanger Verbundenheit und der Freude an den kleinen Dingen. Die Autorin, jenseits der 80, pflegt ihren 96-jährigen Mann, der krank und dement ist. Dabei muss sie akzeptieren, dass ihre Welt immer enger wird, denn sie kann ihren Mann nicht alleine lassen und oft findet sie niemanden, der sie ablösen könnte. Die Kinder ihres Mannes, ihre Stiefkinder, lehnen es ab, sie bei der Pflege des Vaters auch nur mal kurzzeitig zu entlasten! 

Aber als eine Ärztin ihr sagt, sie müsse dem Körper ihres Mannes die Möglichkeit geben zu sterben, empfindet sie das als Anmaßung gegenüber der Schöpfung. „Ein bisschen Sahnejoghurt im Schatten, eine Amsel singt, Stille. So darf ein Leben doch ausatmen.“ Es ist bewundernswert, wie die Autorin ganz selbstverständlich für ihren Mann da ist, Tag und Nacht. Natürlich trauert sie um ihn und seine Einschränkungen, sie trauert auch um all das, was gemeinsam nicht mehr möglich ist. Und sie verschweigt nicht, dass sie um sich selbst trauert: „Aber diese Traurigkeit ist einsam und kalt. Sie ist voll Vorwurf und Enttäuschung und Bitterkeit.“ 

Schubert spricht offen über die schrecklichen Seiten der Pflege und des Dementseins, berichtet über herausgerissene Blasenkatheter, Stürze mit dem Rollstuhl, ihre oft viel zu kurzen, ständig unterbrochenen Nächte. Aber immer scheint ihre Liebe zu ihrem Mann durch. Sie nennt ihn im Buch Derden – das steht für Der, den ich liebe. (Was für eine kreative Idee!) Kurz vorher hatte ich gerade Schuberts Geschichten „Vom Aufstehen“ gelesen, mit dem sie, nachdem sie sich jahrelang aus der literarischen Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, 2020, mit 80 Jahren den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat. 

Brunnenstraße, Andrea Sawatzki

Das Buch hat mich ziemlich umgehauen. Ich sehe die bekannte Schauspielerin jetzt in einem anderen Licht. Als Neunjährige zieht Sawatzki mit ihrer Mutter zu ihrem bis dahin anderweitig gebundenen Vater. Mutter und Tochter freuen sich auf goldene Zeiten – die Tochter, weil sie dann endlich einen Vater hat – die Mutter, weil sie nicht mehr arbeiten muss. Sie geht davon aus, dass an der Seite des bekannten Journalisten ein Leben in Wohlstand, geordneten Verhältnissen und den Kreisen des Bildungsbürgertums auf sie wartet. Doch die Hoffnung wird bitter enttäuscht, denn der einst so erfolgreiche Mann ist zu diesem Zeitpunkt schon krank, er ist nicht mehr arbeitsfähig. 

Das Geld wird schnell knapper und die Mutter muss sich wieder einen Job suchen. So fällt der neunjährigen Andrea die Pflege des Vaters zu, der zunehmend dement, unberechenbar, jähzornig ist, immer wieder abhauen will, eigentlich kaum zu bändigen ist. Das liest sich erschütternd. Aber immer wieder blitzt auch Sawatzkis Kreativität und Unangepasstheit durch, so zum Beispiel im Umgang mit Tieren (der nicht immer gut für die Tiere ausgeht ;-). 

Sawatzki hat in einem Interview gesagt, ihre Kindheit sei in gewissem Sinne normal und auch nicht so fürchterlich gewesen, wie es vielleicht bei manchen Menschen ankommt. Ihr wäre es darum gegangen, ihre Mutter zu unterstützen und zu entlasten. Die beiden waren ein eingespieltes Team, bis der Vater sie zu sich holte. Aber diesen Bruch in ihrem Leben auszuhalten und über Jahre mit dem schwerkranken Mann, ihrem Vater, zu leben, dazu gehört schon einiges. 

Die Enkelin, Bernhard Schlink 

Manches an dieser Geschichte ist etwas zu konstruiert, aber darauf kommt es letztlich nicht an. 

Kaspar entdeckt nach dem Tod seiner Frau Birgit, dass sie bei ihrer Jahre zurückliegenden Flucht zu ihm in den Westen viel mehr aufgegeben hat, als er ahnte. Sie war immer sehr verschlossen, hat wenig preisgegeben, und nun erfährt er, dass sie seinerzeit eine Tochter im Osten zurückgelassen hat. Kaspar begibt sich auf eine mühsame Suche und findet diese Tochter schließlich. Sie lebt mit Mann und Kind in einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land. Das Kind, die vierzehnjährige Sigrun, findet ihren frisch aufgetauchten Stiefopa spannend, und auch Kaspar freut sich über die neu gewonnene Enkelin und bemüht sich um sie. 

Aber zwischen ihnen liegen Welten, das Mädchen ist in der völkischen Gemeinschaft fest verankert, und ihre Eltern wachen sorgsam über sie. „Sigrun gehört Deutschland, und ich werde nicht zulassen, dass du sie Deutschland wegnimmst,“ sagt der Vater mit drohendem Unterton zu dem neu aufgetauchten Fremden. Doch Kaspar kämpft unbeirrt um den Kontakt zu Sigrun, schafft auch, dass sie ihn besuchen darf, aber immer wieder führt ihn das an seine Grenzen. 

Man verfolgt gebannt den Weg, den Großvater und Enkelin miteinander zurücklegen, hält den Atem an, als sie das Konzentrationslager Ravensbrück besuchen. Man hat die selben Fragen, wie Kaspar sie sich stellt: „Wann und wie er zu Sigruns Ansichten etwas sagen und, vor allem, wie viel er sagen sollte, beschäftigte ihn. Lieber zu viel als zu wenig? Lieber zu wenig als zu viel? Wenn ein Ereignis oder Erlebnis dazu einlud oder nur wenn sie das Gespräch darauf brachte?“

Wie sehr muss Kaspar sich verbiegen? Über die klassische Musik und das Klavierspiel finden die beiden eine Schnittstelle. Doch wird das ausreichen? „Kaspar fühlte sich hilflos. Wie sollte er diesen Berg von Ressentiments abtragen?“ Das Buch hinterlässt aufgrund des Themas einen tiefen Eindruck, und Schlink ist auch ein großartiger Erzähler. Danke an Simone für den Tipp!

Gezeitenkinder, Luise Diekhoff

Wegducken oder kämpfen? Die vierundzwanzigjährige Hanna tritt 1962 ihre erste Stelle in einem Kindererholungsheim auf Norderney an, voller Idealismus, beseelt davon, den Kindern in ihren Wochen in der Fremde eine gute Zeit zu bereiten. Doch schnell trifft sie auf Ungereimtheiten, nicht das Wohl der Kinder ist hier oberstes Ziel. Es geht um Macht und Angst, um Zwang und Züchtigung in einem System, das seine Ursprünge im Nationalsozialismus hat. Keine Seltenheit in den Kinderverschickungsheimen zu jener Zeit. Hanna muss sich entscheiden, denn jetzt ist Zivilcourage gefragt.

Dann gibt es da noch den jungen Holländer Jan, der seine in den letzten Kriegstagen verschollene Tante sucht, wird ihm das gelingen? Kann diese junge Generation vielleicht etwas verändern?

Spannend verpackte Geschichtsschreibung mit einem wichtigen Thema – eine gelungene Kombination. Und mir gefällt, wie die Autorin mit Sprache spielt und deren Bedeutung herausstellt. Mein neues Lieblingswort: Himmelsbreit.

Abendrot, Kent Haruf

Mitfühlend, warmherzig, und auf eine zutiefst menschliche Art beschreibt Haruf die Lebenswege der Bewohner einer fiktiven Kleinstadt in Colorado. Niemand hat hier ein einfaches Schicksal. Da gibt es zwei alte Viehzüchter, die erst den Weggang ihrer Ziehtochter verkraften müssen und für die es dann noch viel dicker kommt. Ein Ehepaar haust mit seinen beiden Kindern in einem heruntergekommenen Trailer und bemüht sich nach Kräften, aber doch stets am Rande der Überforderung, gut für diese Kinder zu sorgen. Ein elfjähriger Junge lebt allein mit seinem kranken Großvater und kümmert sich rührend um ihn. Eine von ihrem Mann verlassene Frau kämpft für sich und ihre Töchter um ein würdiges Leben. 

Haruf bildet die Realität ab, das Leben dieser Menschen, und wir sind mittendrin bei den Figuren, verfolgen ihr Schicksal, leiden und hoffen mit ihnen. Manche Passagen sind schwer zu ertragen, man wünscht sich so sehr, dass das Leben gnädig sein möge und muss doch lesen, wie es weiter bergab geht. Aber immer wieder gibt es auch Hoffnung, Mitmenschlichkeit und sozialen Zusammenhalt. Und ganz ohne Trost entlässt Haruf uns nicht. 

Das meiste ist in einer schnörkellosen, fast kargen Sprache geschrieben, die aber immer wieder mal von langen Passagen mit detaillierten Tätigkeitsbeschreibungen unterbrochen wird. Ein zu Beginn gewöhnungsbedürftiger Schreibstil, der aber schnell einen großen Sog entwickelt und eine große Intensität. Man bleibt dran, man will wissen, was mit den Figuren passiert. Berührt und beeindruckt habe ich dieses Buch aus der Hand gelegt. Den Autor werde ich mir merken.

Die Unzertrennlichen, Simone de Beauvoir 

Erschüttert habe ich dieses Buch zugeklappt. Es geht in dem autofiktionalen Roman um gesellschaftliche Etikette zu Beginn des 20. Jahrhunderts, um den Druck der Familie, das rigide Religionsverständnis, den Umgang mit Frauen, der ihnen jegliche eigene Wünsche untersagte und sie brutal unterdrückte.

Das schmale Büchlein enthält neben dem Text auch Fotos und Briefe; erzählt wird die Geschichte einer sehr engen Frauenfreundschaft, die 1919 beginnt, als die beiden Mädchen Sylvie und Andrée mit neun Jahren in der Schule aufeinander treffen. Sylvie (Simone de Beauvoir) entwickelt eine schwärmerische Zuneigung für Andrée (Kosename Zaza). Sylvie alias Simone wächst sehr behütet auf, es gelingt ihr aber, sich aus der für Frauen vorgesehenen Rolle  – Heirat, tugendhaftes Leben als Hausfrau und Mutter – zu befreien. 

Andrée stammt aus einer kinderreichen Familie; sie nimmt sich zu Beginn mehr Freiheiten heraus als ihre Freundin Sylvie/Simone, sie ist die Leidenschaftlichere der beiden, die Impulsive. Aber sie leidet zunehmend unter den an sie gestellten Erwartungen. So begehrt sie einesteils gegen ihr streng katholisches Elternhaus auf, in dem Gehorsam gegen Gott erwartet wird und in dem Küsse vor der Ehe verboten sind. Andererseits möchte sie ihre Eltern, vor allem ihre Mutter, keinesfalls enttäuschen. Im ständig wachsenden Zwiespalt zwischen ihren Idealen und Wünschen einerseits und dem auferlegten Rollendruck und der verlogenen Tugendhaftigkeit andererseits, zerreibt Andrée sich zunehmend. Sylvie alias Simone sieht entsetzt zu und findet keinen Weg, um der Freundin zu helfen.

Beauvoirs Lebenspartner Sartre hielt das Manuskript für zu intim für eine Veröffentlichung. Mehr als 30 Jahre nach Beauvoirs Tod kam es in Deutschland auf den Markt. Ich finde es sehr interessant, denn darüber erschließt sich auch ein Verständnis für de Beauvoirs weiteren Lebensweg und die Bücher, die sie geschrieben hat. Und wieder einmal bin ich dankbar, in einer für uns Frauen schon deutlich leichteren Zeit geboren und aufgewachsen zu sein. 

Wozu das alles?, Christian Uhle

Eine anregende und gewinnbringende Lektüre! Mit Philosophie verbindet man gemeinhin schwere Kost, aber Uhle nimmt uns auf eine leicht verständliche Reise nach dem Sinn des Lebens mit. Immer wieder flicht der Autor eigene Erfahrungen ein, dadurch wirken seine Erkenntnisse aktuell und lebensnah. Aber seine Überlegungen sind auch durchaus wissenschaftlich fundiert, berühren auch Psychologie, Soziologie und Ökonomie. So stellt er fest, in reichen Ländern sind Sinnkrisen viel häufiger als in ärmeren. Unser Streben nach Höher, Weiter, Schneller, Besser, Mehr ist auf jeden Fall nicht die Lösung. Das ist uns ja eigentlich längst klar, aber er belegt es sehr gut.

Das Buch ist keine Ratgeberliteratur, aber dennoch findet man Antworten und wertvolle Hinweise. Eine wichtige Botschaft von ihm: Lasst uns lieber die Frage nach einem sinnvollen Leben stellen als die Frage nach dem Sinn des Lebens. Seine Kernaussage: Sinn ist immer dazwischen. Zwischen Menschen. Antworten entstehen im Dialog. So sagt er: Leute spielt, berührt euch, verbindet euch – wir brauchen einander, wir brauchen das Subjekt, das zuhört: Man muss sich zeigen, um gesehen zu werden, sich erklären, um verstanden zu werden, Nähe zulassen, um gespürt zu werden.

Im mittleren Teil ist das knapp 500 Seiten umfassende Werk manchmal etwas ermüdend. Botschaften und Erkenntnisse wiederholen sich, wenn auch leicht abgewandelt, weil er sich den verschiedenen Themen immer wieder aus anderen Richtungen nähert. Dadurch wird aber auch vieles vertieft. 

Irgendwo habe ich gelesen, bei einem Philosophiebuch quält sich entweder der Autor oder der Leser. Mit diesem Buch hat der Autor, wie er selbst sagt, viele Stunden seines Lebens verbracht, bestimmt auch qualvolle. Aber sehr sinnvolle Stunden für uns Leser, danke! Absolut empfehlenswert!

Einer von euch, B. Schweinsteiger, Martin Suter 

Suter ist ein sehr bekannter und erfolgreicher Romanautor, ein „Romancier“, wie er sich selbst bezeichnet. So jemand schreibt eine Biografie über einen Fußballstar? Obwohl ich Fußballfan bin, Schweinsteiger und Suter mag, hatte ich dennoch Zweifel. Und fragte mich, was ist eigentlich ein biografischer Roman? Er erzählt „Wahres und fast Wahres“ und ist „faktengetreu, aber mit literarischer Freiheit geschrieben“. Kann das funktionieren?

Die sehr kurzen Abschnitte innerhalb der insgesamt sieben Kapitel sind anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, gleichzeitig machen sie aber auch die Lektüre leicht verdaulich. So rutscht man leichtfüßig 😉 in das Leben des Fußballstars hinein. Schweinsteiger ist in Oberbayern geboren und natürlich spielt er beim FC Bayern (nicht mein Verein …). Man kann aber nachvollziehen, warum er sich dort und in seinen Wohnvierteln in München so wohlfühlt. Selbstverständlich tauchen bekannte Personen auf, die seinen Weg beeinflusst haben – Uli Hoeneß, Oli Kahn, Mull (Müller-Wohlfahrt) und Kollegen wie Badstuber und Neuer. Nicht alle Trainer, unter denen Schweinsteiger spielte, waren ihm durchgängig wohlgesonnen. Bei Magath (das ist der mit den Medizinbällen) und Mourinho (Trainer der Roten Teufel) musste Basti zeitweise hart um sein Standing und seinen Platz im Team kämpfen.

Natürlich geht es auch um das immer krassere „Drumherum“ im Fußball: Um die Rolle der Berater, die das große Geld wittern, die unerbittlichen Medien, die einen Fußballspieler an einem Tag in den Himmel loben und am anderen in Grund und Boden schreiben. Und um die unglaublichen Gehälter, die Luxusquartiere, in denen die Spieler sich auf Turniere vorbereiten, den ganzen Reichtum, von dem die Spieler umgeben sind. (Suter schreibt mit Wohlwollen, wie er es in einem FAZ-Interview sagte.) Aber auch die vielen Nackenschläge in Form von immer wieder auftretenden Verletzungen und mühsamen Heilungsprozessen sind Thema, die man als Zuschauer nur am Rande mitbekommt, und die man bei all dem Glamour, der die Fußballstars umgibt, allzu leicht vergisst. 

Dennoch liest sich die Geschichte über weite Strecken wie ein Märchen, vor allem natürlich, wie Basti und Ana Ivanovic, der berühmte Fußballer und die berühmte Tennisspielerin sich gefunden haben. Nettes Schmankerl: Kleine schwarzweiße Fußbälle stehen über den kurzen Text-Abschnitten, kleine Tennisbälle, wenn es um Ana geht. Und ein Fußball und ein Tennisball, wenn es um die beiden geht. Das kommt gegen Ende häufiger vor 😉

Bei seiner emotionalen Verabschiedung im Jahr 2018 sagte Bastian Schweinsteiger: „Ich bin einer von euch.“ Das leistet dieses Buch, dass man ihm das abnimmt. Ich habe es insgesamt gerne gelesen.