„Die Sommer die wir hatten“, von Louisa Young

Mit großer Freude habe ich entdeckt, dass die Geschichte der beiden Kriegsveteranen Riley und Peter weitergeht (Band 1: Eins wollt ich dir noch sagen, Band 2: Alles worauf wir hofften). Die aktuelle Fortsetzung beginnt 1928; Peters Kinder Tom und Kitty wachsen bei Nadine und Riley auf, weil Peter sich nicht in der Lage sieht, sie alleine großzuziehen. Nadine verbringt mit den Kindern mehrere wunderbare Sommer bei jüdischen Verwandten in Rom. Doch dann sieht sie mit zunehmender Beklemmung, wie ihr Vetter Naldo, überzeugter Faschist, Mussolini geradezu fanatisch verehrt. Der heranwachsende Tom braucht eine Weile, bis er die politischen Zusammenhänge begreift, aber dann gilt seine größte Sorge Naldos Tochter Nenna, die für ihn inzwischen mehr als eine Kindheitsfreundin ist … Naldo in seiner Verblendung will nicht begreifen, in welcher Gefahr seine jüdische Familie schwebt. Und Nenna steht zwischen allen Fronten …

Die Eltern-Generation, Nadine, Riley und Peter, die sich sehr mühsam von den inneren und äußeren Verletzungen des 1. Weltkriegs erholt hat, sieht sich erneut konfrontiert mit Krieg und fürchtet um das Leben ihrer Kinder.„Ich finde, es war nett vom Schicksal, dass es uns diese glücklichen Jahre geschenkt hat, bevor es das Licht wieder ausgemacht und den Vorhang zugezogen hat.“ Die drei erleben zwei Weltkriege in der Blüte ihrer Jahre. Und, nicht anders als alle anderen, kämpfen sie ja auch mit ihren ureigenen persönlichen Problemen. „Wir kämpfen alle unsere eigenen Schlachten neben dieser großen. Wie groß wird sie wohl?“

Young erzählt eindringlich und nachvollziehbar, wie Menschen in eine Verblendung hineinrutschen und nicht mehr herausfinden. „Aber wenn du nur eine einzige Lichtquelle gelten lässt und alle anderen ausschaltest – Geschichte, Bildung, die Erfahrungen anderer Menschen, Wissenschaft – , dann wird aus deinem Hell und Dunkel Schwarz und Weiß. Das tun die Menschen in unruhigen Zeiten. Sie glauben, jemand, der klar und stark ist, würde sie retten, und sie bräuchten keine Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.“ Young bettet auf unnachahmliche Weise Spannungen und Gefühle innerhalb der verschiedenen Familien in große Geschichte ein. Ich hoffe, sie setzt das fort.

„Der Trafikant“, von Robert Seethaler

Was für ein wunderbares kleines Büchlein! Leicht und locker zu lesen, aber so viel darin! Spätsommer 1937: Der siebzehnjährige Bauernbub Franz wird von seiner Mutter nach Wien geschickt, um eine Lehre in eine41eZbCSNiLL._SX314_BO1,204,203,200_r „Trafik“, einem kleinen Tabak- und Zeitungsgeschäft, zu beginnen. Dort macht er die Bekanntschaft des berühmten Psychoanalytikers Sigmund Freund, der ihn sofort fasziniert. Franz erhofft sich Antworten auf drängende Fragen, denn er hat sich erstmals verliebt–und zwar rettungslos.

In einer geschickten Konstruktion entwickeln sich zwei gegenläufige Linien: Während Franz sich vom einfachen Bauernbub mehr und mehr zum aufgeschlossenen Mann entwickelt, geht es mit der politischen Entwicklung stetig bergab. Franz liest, lernt, begreift: „Es war eine Ahnung, die da zwischen den vielen Druckbuchstaben herausraschelte, eine kleine Ahnung von den Möglichkeiten der Welt.“ Täglich weiß er mehr, sieht mehr, riecht mehr, schmeckt mehr. Erfasst Franz die Dinge zu Beginn noch eher intuitiv, so zeugt die Korrespondenz mit seiner Mutter – zunächst Postkarten, dann Briefe, weil Karten nicht mehr reichen – von stetig wachsendem Bewusstsein und einer Klugheit, die das Leben zwar reicher, aber nicht unbedingt einfacher macht .„Wer nichts weiß, hat keine Sorgen, (…) aber wenn es schon schwer genug ist, sich das Wissen mühsam anzulernen, so ist doch noch viel schwerer, wenn nicht sogar praktisch unmöglich, das einmal Gewusste zu vergessen.“

Die Briefe werden inhaltsschwerer, trauriger, erwachsener, voller Fragen. Weder die Mutter noch Freud können diese Fragen beantworten, aber Freud gibt seinem jungen Freund einen wichtigen Satz an die Hand: „Nur mit viel Mut und Beharrlichkeit oder Dummheit oder am besten mit allem zusammen kann man hier und da selber ein Zeichen setzen.“ Fazit: Absolut lesenswert!