Der große Sommer, Ewald Arenz

Das ist eins von diesen Büchern, die ich traurig zuklappe – traurig, weil es zu Ende ist und ich mich frage, wann ich wieder so ein Buch finden werde, das mich so berührt, das so vieles in mir zum Klingen bringt. 

Der Protagonist Frieder geht als gealterter Mann über den Friedhof und sucht nach einem Grab. Und währenddessen erinnert er sich an diesen ganz besonderen Sommer, den großen Sommer: Als 17-jähriger muss er in den großen Ferien für die Nachprüfungen in Mathe und Latein büffeln. Anstatt mit seiner Familie in den Urlaub zu fahren, wird er zum strengen Großvater geschickt. Es wird ein ganz besonderer Sommer für ihn, denn er erlebt nicht nur seine erste Liebe, sondern er begegnet auch erstmals dem Tod. Er erfährt neue Dimensionen von Freundschaft, erkennt die Bedeutung von Respekt und Vertrauen. Und an seinem Großvater, einer überaus schillernden Person, lernt er ganz neue Seiten kennen, ebenso wie an seiner Großmutter. Das klingt vielleicht nach einem Jugendroman, aber es ist noch so viel mehr darin. Und der Roman ist auch durchaus spannend – so fragt man sich, wessen Grab der inzwischen erwachsene Frieder immer wieder aufsucht. 

In einer wunderschönen, manchmal geradezu poetischen Sprache, erzählt Arenz die Geschichte, lässt uns teilhaben an Frieders vielfältigen Sinneseindrücken. Wir erleben mit ihm die Besonderheit dieses flirrenden Sommers, aber auch den Hauch des langsam nahenden Herbstes. Schon Alte Sorten des Autors hatte mir sehr gut gefallen. Arenz hat ein gutes Gespür für Zwischentöne und für die kleinen und großen Dinge, die ein Leben ausmachen.

„Und damit fing es an“, von Rose Tremain

Ein Buch voller Weisheit und Wärme. Einfach wundervoll. Rundum. Es erzählt die Lebens-Geschichten zweier Männer, die seit Kindertagen eine enge Freundschaft verbindet. Es ist eine ungleiche Beziehung, Gustav wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, alleine mit seiner verbitterten Mutter. Anton stammt aus einer kultivierten jüdischen Familie, die ihn liebevoll fördert und seinen Wunsch unterstützt, ein berühmter Pianist zu werden. Doch Klavierspielen ist nicht gleich Klavierspielen, und nicht jeder ist dafür geboren, auf der großen Bühne zu stehen – und nicht jeder erkennt, was das Leben für ihn bereithält …

Gustav lernt von seiner Mutter Emilie nur eins: Du musst wie die Schweiz sein. Du musst dich beherrschen, du musst dich zusammenreißen, mutig und stark sein, und du musst dich heraus halten, neutral sein. Liebe erfährt Gustav nicht von Emilie. Aufgrund ihrer Überzeugung, dass der frühe Tod ihres Mannes mit seiner Hilfe für jüdische Flüchtlinge zusammenhängt, will Emilie ihrem Sohn sogar den Umgang mit Anton und seinen jüdischen Eltern verbieten. Aber Gustav steht treu und unerschütterlich zu seinem Freund, und als dessen Familie ihn mit zum Schlittschuhlaufen nimmt, eröffnet sich für ihn eine ganz neue Welt, die er unbedingt festhalten will.

In ihrem wunderbar kurzen und knappen Stil, der doch alles Wesentliche sagt, schildert Tremain, dass es manchmal ein ganzes Leben braucht, damit Menschen zu dem werden, das in ihnen angelegt ist. Es geht um Umwege, Irrwege und Abwege. Voller Wärme zeichnet sie wunderbare, lebensechte Charaktere, unperfekte Menschen, die sich durch ein unperfektes Leben mühen und doch immer wieder Momente großen und kleinen Glücks erfahren.

Lesen! Und sich den Namen der Autorin merken!

„Die hellen Tage“, von Zsuzsa Bánk

Endlich bin ich wieder auf ein Buch gestoßen, das etwas in mir zum Klingen bringt, das ich während des Lesens immer wieder sinken lasse, um den Sätzen nachzuspüren, die mich auf die eine oder andere Weise verzaubert haben. Zäh zogen und zerrten aber die ersten Zeilen und Seiten an mir, hatten ihre Mühe mich herauszuholen aus meiner durchgetakteten Alltagswelt. Es geschieht wenig, und die Sätze sind sehr, sehr lang. Erst nachdem ich diese gewisse Ungeduld (wann passiert etwas?) abgelegt hatte, konnte ich genießen – und wie!

Darum geht es: Das Leben dreier Kinder wird beschrieben, ihre keinesfalls makellosen, aber oft hellen Tage, ihr Weg ins Erwachsensein. Sie haben starke Mütter an ihrer Seite, die Väter spielen nur eine untergeordnete Rolle. Allen voran ist es Évi, die einen gefangen nimmt. Sie ist so anders als all die anderen Mütter (und Menschen), hat unglaublich hart zu kämpfen und überstrahlt dennoch alles. Und wie die Frauen sich gegenseitig unterstützen, nachdem das anfängliche Misstrauen verschwunden ist – da geht einem das Herz auf.

Obwohl ich erst die Hälfte der fünfhundert Seiten gelesen habe, weiß ich, ich werde sehr traurig sein (egal, wie es ausgeht), denn dies ist eins von den Büchern, nach deren Lektüre man glaubt, man werde für lange Zeit keines mehr finden, das einen so berührt. Die Sprache der Autorin ist poetisch und zupackend zugleich, sie spricht alle Sinne an und lässt sämtliche Personen wie leibhaftig vor einem stehen. Die Sätze fließen, lösen wohlige Gedanken ebenso aus wie wehmütige, wecken Erinnerungen:

„Wir fanden uns, wie sich Kinder finden, ohne zu zögern, ohne Umstände, und sobald wir unser erstes Spiel begonnen, unsere ersten Fragen gestellt hatten, verbrachten wir unsere Tage miteinander, fädelten sie auf wie an einer endlosen Kette, und hielten jede Unterbrechung, mit der andere uns trennten, für eine Zumutung.“

Dieses Buch tut gut, denn es lenkt den Blick auf das, was im Leben zählt: Freundschaft, Mitmenschlichkeit und die vielen kleinen, kostbaren Momente jedweder Art. Es lässt mich an einen Spruch von Mahatma Gandhi denken: „Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.“