„Geister“, von Nathan Hill

Auch eine Woche, nachdem ich das Buch ausgelesen habe, bin ich unentschieden, wie ich es für mich bewerten soll. Es hat tolle Passagen, ausgefeilte Formulierungen und eine super Geschichte: Samuel, Mitte Dreißig, Universitätsprofessor, wird gebeten, die Integrität seiner in Schwierigkeiten geratenen Mutter zu bezeugen – diese hat er aber über zwanzig Jahre nicht gesehen, denn sie hat ihn verlassen, als er elf Jahre alt war.

Hills Schreibstil ist sehr ausformuliert, um nicht zu sagen langatmig 😉, aber phasenweise eben auch sensationell gut. Das Kapitel, in dem Samuel den Anruf der Anwaltskanzlei enthält, die ihn um Hilfe für seine angeklagte Mutter bittet, ist einfach nur grandios – traurig, witzig, absurd. In diesen acht Seiten wird das ganze Lebensdrama Samuels offengelegt, und spätestens ab da will man wirklich wissen, wie die Geschichte weitergeht, warum ihn seine Mutter verlassen hat. Ebenso grandios ist das Kapitel über Pwanage – einen Computerspielsüchtigen, der an Wartungstagen, sogenannten Patchdays, an denen er nicht spielen kann, verzweifelt versucht, diese Leere zu überbrücken. Unter anderem einmal mit dem Versuch, sich ab sofort nur noch gesund, nur noch bio zu ernähren, und dabei gnadenlos scheitert. Auch das ist witzig, es bleibt einem aber auch das Lachen im Hals stecken.

Leider gibt es immer wieder Längen (bei dem Umfang von 860 Seiten nicht unerwartet 😉). So spielt auch Samuel besessen „World of Elfscape“ am Computer und ballert Orks weg. Diese Details, ebenso die ausufernde Beschreibung der Studentenbewegung der 68er Jahre in Chicago fand ich ermüdend, ebenso hätte ich auf ein paar schmutzige Sexszenen verzichten können. Ich bin drangeblieben, weil die Geschichte als Ganzes mich interessiert hat, habe aber solche Passagen überflogen. Es ist ein sehr amerikanischer Roman, ein Gesellschaftstroman im großen Stil, (ich musste an Jonathan Franzen oder John Irving denken). Ich bereue es nicht, das Buch gelesen zu haben, aber obwohl es mich stellenweise berührt hat, hat es insgesamt nicht mein Herz erwärmt.