„Disziplin ohne Drama“, von D.J. Siegel & T. Payne Bryson

Kindern wesentliche Botschaften vermitteln, Konflikte friedlich lösen und Glück und Resilienz sämtlicher Familienmitglieder erhöhen – hört sich das nicht großartig an? Der Umschlagtext des Fachbuchs verspricht nicht gerade wenig … Aber in der Tat, beim Lesen habe ich mehrmals gedacht, so einen Ratgeber hätte ich auch gerne zur Seite gehabt, als meine Kinder klein waren. So viel also vorab: Wer für Kinder sorgt oder Kinder liebt, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt!
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Siegel und Payne Bryson erklären ihr Verständnis von „Disziplin“ mit der Herleitung aus dem lateinischen (discipulus = Schüler, Student, Lehrling). Es hat also nichts mit Bestrafung oder Härte zu tun, sondern es bedeutet, jemand lernt durch Unterweisung. Durchaus humorvoll (unterstützt durch Skizzen) beschreiben die Autoren, selber Eltern mehrerer Kinder, Szenen aus dem ganz normalen, täglichen Familien-Wahnsinn und zeigen Wege, konstruktiv damit umzugehen, kurzfristig und langfristig! „Verbinden“ ist ein wichtiger Begriff – es bedeutet, mit dem Kind liebevollen (Körper-)Kontakt aufzunehmen, auch wenn uns gerade so ganz und gar nicht danach zumute ist. So manches Mal stehen wir doch ziemlich fassungslos vor den Ausbrüchen oder Wutanfällen, deren Anlässe sich uns einfach nicht erschließen. Aber wenn unsere Kinder emotional ausrasten, brauchen sie uns am meisten!

Durch Konzentration auf das Warum hinter dem unerwünschten Verhalten helfen wir dem Kind, sein Gehirn zu entwickeln und sinnvolle Verhaltensweisen zu trainieren. Das bedeutet für uns Erwachsene: Emotionen akzeptieren, Worte reduzieren, beschreiben, nicht predigen … Nein sagen zum Verhalten, Ja sagen zum Kind! Im Grunde wissen wir vieles und machen es intuitiv richtig, aber es ist mit Sicherheit sinnvoll, sich bestimmter Dinge bewusster zu werden. Und gerade dann, wenn Kinder unschöne Szenen machen, quengeln und uns zum Wahnsinn treiben, ist es super, die erhellenden Erklärungen und wertvollen Tipps im Hinterkopf zu haben. Begeistert war ich auch von den einfachen Skizzen zur Beschreibung des unteren und oberen Gehirns, mit denen man (nicht nur) Kindern das „integrierte Gehirn“ erklären kann. Absolut empfehlenswert!

 

„Schuld und Sühne“, von Fjodor Dostojewski

Darf ein Mensch Bestehendes zerstören „zum Zweck der Erreichung von etwas Besserem“? Darf er „über Leichen und durch Blut vorwärtsschreiten, weil es zur Verwirklichung seiner Idee erforderlich ist?“ Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich der mittellose Student Raskolnikow, der Protagonist in Dostojewskis Klassiker „Schuld und Sühne“. 51MZKdToP9L._SX312_BO1,204,203,200_Als den „größten Kriminalroman aller Zeiten“ bezeichnete Thomas Mann den 800-Seiten Wälzer. Ein Krimi im klassischen Sinne ist „Schuld und Sühne“ nicht, eher eine psychologische Studie eines Menschen, der einen Mord begeht und an seiner Schuld zerbricht. Also ein ähnliches Thema, wie Donna Tartt es in ihrer „Geheimen Geschichte“ behandelt, und es ist faszinierend, die beiden Romane vergleichend zu lesen.

Die Geschichte spielt in St. Petersburg in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Hauptfigur Raskolnikow begeht einen Doppelmord und rechtfertigt diese Tat mit einer abstrusen Theorie über die Einteilung von Menschen in zwei Klassen, in gewöhnliche und außerordentliche. Die gewöhnlichen Menschen stellen seiner Auffassung nach das Material für die außerordentlichen dar – hier gilt ihm Napoleon als leuchtendes Beispiel, der sich seiner Meinung nach zu recht über einen gewöhnlichen Menschen, eine „Laus“ erhebt.

Dostojewski schafft es meisterhaft, dem Leser die inneren Prozesse, die immer instabiler werdende Gemütslage und fiebrigen Zustände von Raskolnikow nach dem Mord nahezubringen. Ebenso fesselnd sind die Katz- und Maus-Spiele mit dem Untersuchungskommissar, der dem Mörder zwar die Tat nicht nachweisen kann, ihn aber an den Rand des Wahnsinns treibt.

Durchhaltevermögen ist beim Lesen angesagt, es gibt seitenlange Dialoge und einige Nebenhandlungen, die ich für mich ein wenig ausgeblendet habe, weil mich die Hauptgeschichte genug beschäftigt hat. Mein Tipp: Es macht Sinn, sich die Namen der Personen und ihre Rollen aufzuschreiben, denn es ist kaum möglich, sich deren Vielfalt in der schwierigen russischen Sprache zu merken. Und, ebenso ratsam: Das Buch möglichst zügig zu lesen. Dann gelingt es besser, in diese für uns doch recht ferne Welt einzutauchen und den zeitweise geradezu süffigen Schreibstil von Dostojewski zu genießen.