„Das erste Jahr ihrer Ehe“, von Anita Shreve

41Q3FIL81bL._SX319_BO1,204,203,200_Einen Fünftausender zu besteigen ist eine riesige Herausforderung, und es ist sicher nicht ungefährlich – vor allem, wenn man untrainiert ist wie die junge Margaret, die das erste Jahr ihrer Ehe mit ihrem Mann Patrick in Afrika verbringt. Als die Idee aufkommt, gemeinsam mit zwei anderen Paaren den Mount Kenya zu besteigen, zögert die junge Frau kurz, aber sie lässt sich auf das Abenteuer ein.

Der beschwerliche Aufstieg führt nicht nur Margaret an ihre Grenzen; ihre fehlende Fitness behindert die Gruppe und vertieft Spannungen, die schon vorher schwelten. Als die sechs einen Gletscher überqueren, kommt es zur Katastrophe, und einer von ihnen stürzt in den Tod. Alle sind sich einig: Margaret trägt die Schuld daran. (Die Begründung dafür ist ein wenig dünn).

Danach ist nichts mehr wie es war. Das junge Ehepaar muss sich mit Themen wie Schuld, Vergebung, Eifersucht und Entfremdung auseinandersetzen. Ein Jahr nach dem Unfall auf dem Gletscher schlägt Patrick vor, erneut den Mount Kenya zu besteigen, dieses Mal bis zum Gipfel, um mit den tragischen Ereignissen von damals endgültig abzuschließen und wieder nach vorn zu schauen. Kann das die Lösung für die Eheprobleme sein?

Shreves Stil ist kühl, stellenweise ist es fast eine Art Berichterstattung. Ihre Themen drehen sich stets um Liebesbeziehungen, um Paare, die auf die eine oder andere Art in Schwierigkeiten geraten oder unter komplizierten Bedingungen zueinander finden. Sie ist eine genaue Beobachterin, die typischen Beziehungsszenen (Eifersucht, Gefühl von Unzulänglichkeit, Sprachlosigkeit, Gleichgültigkeit) schildert sie so, dass man sich darin wiedererkennen kann. Anita Shreve ist eine Vielschreiberin; ich habe nahezu alle Romane von ihr gelesen und fand sie alle gut, die meisten allerdings besser als diesen.

Fazit: nicht ganz die übliche Shreve-Qualität, aber doch gut zu lesen.

 

„Die geheime Geschichte“, von Donna Tartt

51WgcfH0JtL._SX340_BO1,204,203,200_Auch wenn ich wieder lange gebraucht habe, bis ich Feuer gefangen habe: „Die geheime Geschichte“ ist ein fantastisches Buch, fantastisch geschrieben.

Der Ich-Erzähler Richard Papen ist überaus glücklich, als er ein Stipendium für den College-Besuch bekommt und dadurch auch dem ungeliebten Elternhaus in einem kalifornischen Provinznest entfliehen kann. Begeistert nimmt er seine Studien im Hampden College in Vermont, Neuengland, auf. Eine kleine Studentengruppe mit einer geheimnisvollen Aura erweckt schnell sein Interesse. Die fünf studieren Griechisch bei einem skurrilen Professor, der keinesfalls weitere Schüler unterrichten möchte. Doch es gelingt Richard aufgenommen zu werden in diesen exklusiven Zirkel mit den schillernden Charakteren: Henry ist der heimliche Anführer der Gruppe, ein extrem schlauer Kopf; Francis, ein reicher Erbe, ist Neurotiker und Exzentriker zugleich; die Zwillinge Charles und Camilla sind auf sich gestellte, aufs engste miteinander verbundene Waisen; und last not least, ist da Bunny, der gutmütige und etwas trampelige Schnorrer – allesamt eine Mischung aus leicht dekadenten, arroganten und doch liebenswerten Schnöseln.

Griechisch büffeln, ausgedehnter Alkoholkonsum zu jeder Tageszeit und feucht-fröhliche Wochenenden auf Francis’ feudalem Landsitz bestimmen ab nun Richards Leben. Er ist begeistert – doch je mehr Zeit er mit der Gruppe verbringt, desto mehr wird ihm klar, dass es da ein dunkles Geheimnis gibt, das die Freunde verbindet. Eine unschöne, geheime Geschichte … Wie Richard mehr und mehr in den Bann dieser Geschichte gerät und sich die Dinge nach und nach verselbständigen, das ist wirklich großartig geschrieben und hat mich auf eine süchtig machende Art in das Buch hineingezogen. Tartt beobachtet messerscharf und schreibt super geschliffen. Ein Beispiel für ihren Stil, es geht um Bunny: „(…) geleitet nur durch die trüben Leuchtfeuer von Impuls und Gewohnheit, segelte er durch die Welt im Vertrauen darauf, dass sich auf seinem Kurs keine Hindernisse erheben würden, die so groß waren, dass sie nicht durch die bloße Wucht der Vorwärtsbewegung untergepflügt werden könnten.“ Diesem Satz folgt ein wichtiges Aber, das hier nicht näher ausgeführt werden kann, weil ich vom Inhalt nicht mehr verraten möchte.

Nur so viel, es ist ein Krimi der ganz anderen Art, eher eine Psychostudie. Wenn man sich darauf einlässt und genügend Muße zum Lesen mitbringt, wird man belohnt mit atmosphärisch dichten Bildern, mit Hochspannung und viel Stoff zum Nachdenken